Tierschutzprozess: Freispruch, aber Republik verweigert Schadenersatz

Tierschutzprozess: Freispruch, aber Republik verweigert Schadenersatz

25.11.2014

In einer Serie von Gerichtsverhandlungen wurden sämtliche Freisprüche der ersten Instanz bestätigt. Die Klage auf Schadenersatz wurde dennoch abgewiesen.

Bereits im Jahr 2006 hatten die Ermittlungen gegen Tierschützer:innen wegen Bildung einer kriminellen Organisation begonnen. Zum großangelegten Polizeiüberfall auf nichtsahnende Aktivist:innen, die in der Nacht von maskierten Beamt:innen mit gezogenen Schusswaffen aus den Betten geholt wurden, kam es erst zwei Jahre später. Der SOKOTierschutz war es nämlich nicht gelungen, belastende Beweise zu finden. Doch auch 105 Tage Untersuchungshaft für zehn Beschuldigte sowie insgesamt 33 Hausdurchsuchungen brachten keine Ergebnisse, mit denen die Tierschützer:innen hätten kriminalisiert werden können. Nichtsdestotrotz kam es zur Anklage. 2010 begann ein 14-monatiger Prozess, der mit einem kompletten Freispruch endete. Doch damit gab sich die Staatsanwaltschaft nicht zufrieden und legte Berufung ein. Aufgrund des ungeheuerlich großen Gerichtsaktes von mehreren hunderttausend Seiten fanden die Berufungsverhandlungen dazu erst 2014, also acht (!) Jahre nach Ermittlungsbeginn statt.

Freispruch für den Obmann der Veganen Gesellschaft Österreich Felix Hnat

Obwohl der gesamte Tierschutzprozess zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit schon als größter Justizskandal der zweiten Republik verurteilt wurde, setzte man von Seiten der Politik deutliche Zeichen in die Gegenrichtung. Der zuständige Staatsanwalt, der mit einer ungeheuren Verbissenheit die Ermittlungen geführt und auch die Berufung eingebracht hatte, wurde trotz völliger Erfolglosigkeit befördert – zunächst zum ersten Staatsanwalt in Wr. Neustadt und dann in die Korruptionsabteilung der Oberstaatsanwaltschaft. Der Chef der SOKO Tierschutz, von dem die Erstrichterin in ihrem Urteil noch deutlich feststellte, dass er vor Gericht gelogen und wesentliche entlastende Beweismittel vertuscht hatte, wurde zum Chef des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ernannt. Und die Richterin, die sich gegen die deutlich spürbare politische Intention des Verfahrens gestemmt und einen Freispruch gefällt hatte, wurde von der Personalkommission des Landesgerichts dazu eingeteilt, ab sofort nur noch nicht-öffentliche Untersuchungshaftsverhandlungen zu führen.

Im Vorfeld der anstehenden Verhandlung konnten die für die Berufung verbliebenen Anklagepunkte entschärft werden. Dass es Nötigung sei, eine Firma aufzufordern, aus dem Pelzhandel auszusteigen, da es ansonsten eine legale Kampagne mit Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen geben werde, wollten weit mehr als 3000 Personen nicht glauben. In Solidarität zeigten sie sich selbst an. Die Oberstaatsanwaltschaft stellte alle diese Verfahren ein: Die Aufforderungsschreiben der Selbstanzeiger:innen an die Firmen, die als Nötigung gelten sollten, seien zu höflich formuliert gewesen. Also gab es eine zweite Welle von Selbstanzeigen, diesmal auf Basis von Schreiben an die Firma Eybl im Wortlaut der wegen Nötigung inkriminierten E-Mails, die bei der Berufung verhandelt werden sollten. Gleichzeitig wiesen zwei hochkarätige Gutachten von Univ.-Prof. Klaus Schwaighofer und Univ.-Prof.in Petra Velten nach, dass eine Interpretation des Nötigungsparagraphen in dieser Weise völlig überschießend ist. Sowohl Schwaighofer als auch Velten sind Vorstände der Institute für Strafrecht an den Unis Innsbruck bzw. Linz. Mit einer Reihe von Pressekonferenzen und Podiumsdiskussionen konnte eine öffentliche Debatte über diese für soziale Bewegungen so essentiellen Fragen ausgelöst werden.

Die Berufungsverhandlungen

Richter Mag. Csarmann führte die Verhandlungen im Mai 2014 am LG Wr. Neustadt letztlich höchst professionell, objektiv und zügig durch. Für die meisten der Zeug:innen sah er keine Veranlassung zur Einvernahme, weil sie im ersten Rechtsgang bereits umfassend ausgesagt hatten. Vier Jahre später sei nicht zu erwarten, dass ihre Aussagen nun in irgendeiner Form vertrauenswürdiger und detaillierter ausfallen könnten. So blieb im Wesentlichen nur die Rechtsfrage der Interpretation des Nötigungsparagraphen, der für die Zukunft der Kampagnenarbeit im Tierschutz entscheidend sein würde.

Der Richter verkündete überraschend früh den Freispruch und begründete diesen damit, dass eine legale Tierschutzkampagne für eine Firma vielleicht unangenehm sei, aber keine Rechtsgüter verletze. Wenn Aktivist:innen die Kund:innen über die Zustände in Pelzfarmen aufklären und letztere dann frei entscheiden, keinen Pelz einkaufen zu wollen, dann würden schließlich die Kund:innen und nicht die Tierschützer:innen für den Profitrückgang verantwortlich sein. Wörtlich meinte der Richter: „Es ist schlicht denkunmöglich, dass die Aufklärung mündiger Konsumenten für sich selbst gesehen ein Schaden sein kann.“

Interessant war die Rolle der Staatsanwälte und -innen in den Berufungsverhandlungen. Kaum war der seit 2006 zuständige Staatsanwalt via Beförderung entfernt, stellte der nächste dafür nun eingeteilte Mann die noch offenen Ermittlungsverfahren ein. Bei den Verhandlungen traten insgesamt drei verschiedene Staatsanwälte und -innen auf, denen die ganze Sache offensichtlich sehr peinlich war. Sie stellten praktisch keine Fragen, äußerten sich nur notdürftig in ihren Plädoyers und kündigten letztlich keine Berufung gegen die Urteile an.

Dieser Freispruch hinsichtlich Nötigung durch Ankündigung einer legalen Kampagne samt seiner Begründung könnte nun einen Präzedenzfall liefern, der eine neue Ära des Kampagnenrechts einläutet. Vor einigen Jahrzehnten galten noch Gewerkschaftsstreiks als Nötigung, dann wurde das Streikrecht erkämpft. Nun hätte eine zivilgesellschaftliche Kampagne eine Nötigung sein sollen. Der Richter hat dem eine klare Absage erteilt. Können wir also ab sofort davon ausgehen, dass Tierschutzkampagnen nicht mehr als Nötigung angeklagt werden, dass wir also ein verbrieftes Kampagnenrecht haben? Das wäre immerhin ein Fortschritt: Zunächst wurde § 278a, „Bildung einer kriminellen Organisation“, reformiert und dann die Nötigung entschärft. Eine gute Entwicklung Richtung lebendiger Demokratie, so hat dieser Prozess doch irgendwo seinen Sinn gehabt.

Schadenersatzklage abgewiesen

Doch ein Wermutstropfen bleibt. Die Verteidigung im Tierschutzprozess hat nicht nur jede Menge Kraft und Nerven gekostet, sondern auch Geld. Da geht es zunächst um die Anwaltskosten während der U-Haft, bei den Vorbereitungen auf den Prozess, in der Verhandlung selbst (immerhin 14 Monate lang!) und für die Berufungen. Zusätzlich waren insgesamt 14 Gutachten notwendig, um die fingierten Vorwürfe der Anklage zu entkräften. Zweimal musste ein Privatdetektiv eingeschaltet werden, damit es überhaupt möglich wurde, die beiden Polizeispitzel aufzudecken und als Zeuginnen vor Gericht zu bringen. Deren Aussagen überzeugten die Richterin sofort von der Unschuld der Angeklagten. Sie stellte umgehend das Verfahren ein und fällte einen Freispruch. Hätte die Polizei pflichtgemäß die Spitzelberichte von Anfang an der Verteidigung und der Richterin zur Verfügung gestellt, wäre es zu keiner Untersuchungshaft, geschweige denn einer Anklageerhebung, gekommen. Der SOKO-Chef hatte durch eine Lüge versucht, die entlastenden Spitzelberichte vor der Richterin zu vertuschen.

Doch das war nur die Spitze des Eisbergs der „dirty tricks“ der Polizei. Zahlreiche Beweismittel wurden einfach unterschlagen, um einen Verdacht zu konstruieren, der nie bestand. Bis zuletzt hat die Polizei Einsicht in ihre Ermittlungsakten verweigert, obwohl die Menschenrechtsdeklaration und die Strafprozessordnung das eindeutig vorsehen. Tatsächlich gab es im Laufe des Verfahrens dreimal Verurteilungen der Polizei in separaten Prozessen, weil sie keine Akteneinsicht gewährte.

Warum sollten nun die Angeklagten trotz völligen Freispruchs auf ihren hohen Verteidigungskosten sitzen bleiben? Selbst sehr konservativ gerechnet hat der ehemals Hauptangeklagte € 600.000 Schulden. Das Gesetz sieht keine Entschädigung in diesem Fall vor, wie es in praktisch allen anderen Ländern übliche Praxis ist. Zwar gibt es politische Lippenbekenntnisse, aber für einen Schadenersatz sei keine „budgetäre Deckung“ vorgesehen, meinte die zuständige Justizministerin. Die gut 20 Millionen Euro für die Ermittlungskosten waren jedoch schnell zur Hand.

Doch aufgrund des Umstandes, dass die Polizei die Akteneinsicht verweigert hatte und dadurch zentrale entlastende Beweismittel vertuscht wurden, besteht die Möglichkeit einer sogenannten Amtshaftungsklage, um die Verteidigungskosten wieder hereinzubekommen. Am 26. Juni 2014 kam es diesbezüglich zur Verhandlung im Justizpalast in Wien. Die Richterin des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen lehnte aber die Forderung mit der Begründung ab, sie sei bereits verjährt. Der Kläger hätte seine Klage schon einbringen sollen, als er noch in U-Haft saß. Damals sei ihm nämlich bereits bekannt gewesen, dass er unschuldig sei und ihm daher ein Schaden entstehe. Dieses weltfremde Urteil wurde seither von zahlreichen Rechtsexpert:innen scharf kritisiert. Für den ehemals Hauptangeklagten wurden aber weitere € 25.000 an Kosten fällig!

In dieser Finanzzwickmühle kamen nun viele Privatpersonen zu Hilfe und spendeten in nur 4 Wochen nach einem ersten Aufruf ganze € 71.000, um eine Berufung zu ermöglichen. Mitte September 2014 ist das auch tatsächlich geschehen. Nun liegt der Ball beim Wiener Oberlandesgericht. Der Tierschutzprozess zieht also weiterhin seine unheilvollen Kreise, nun fast 9 Jahre nach Beginn der Ermittlungen.

Foto: schmidt-design/andreas schmidt