Interview mit Hilal Sezgin

Interview mit Hilal Sezgin

12.02.2014

Wir haben uns mit der Philosophin und Veganerin Hilal Sezgin unterhalten!

Frau Sezgin, Sie gelten als tierfreundlichste Hirtin Deutschlands. Wie geht es Ihren Schafen?

HS: Prima – hoffe ich. Schafe sind ja toughe Kerlchen und lassen sich möglichst nicht anmerken, wenn’s ihnen schlecht geht, man muss sie also mit Argusaugen beobachten, das Fress-, Ruhe- und auch Sozialverhalten. Trotzdem kann eins krank sein, ohne dass man was merkt. Aber ich glaube, denen geht’s gerade prima. Es ist jetzt Abend, ich gehe nachher rüber, eine Runde kraulen. Abend-kraulen.

Hilal Sezgin mit Jakob

Wundern sich andere Menschen darüber, dass Sie mit Ihren Schafen zusammen leben, ohne sie in irgendeiner Form, beispielsweise für die Woll- oder Fleischproduktion, zu nutzen?

HS: Oh ja. Die Frage „Was machen Sie mit denen?“ ist schier nicht auszurotten. Und wenn ich dann erklärt habe, dass alle kastriert sind, damit es nicht mehr werden (und ich keinen Platz für sie hätte), und ich auch keine Milch von ihnen nehme und keine Eier der Hühner esse, dann staunen die Leute … und ihre Augen leuchten auf, wenn ihnen einfällt: „Aber die Wolle?“. In der Tat, ich muss die Schafe scheren lassen, sonst würde ihnen zu heiß. Aber es ist schwer, unbehandelte Wolle auch loszuwerden, sie ist eher ein Abfallprodukt. Erst vor einer Woche habe ich auch mal wieder jemanden getroffen, der es traurig fand, dass meine Schafe alt werden „müssen“ – und sterben, statt sie zu schlachten!

Vegetarierin sind Sie seit Ihrer Kindheit, vegan wurden Sie erst während Ihrer Zeit in der Lüneburger Heide. Hat Ihnen das Leben auf dem Land die Augen geöffnet?

HS: Teils, teils. Theoretisch war mir vorher schon vieles klar, aber dann mit eigenen Augen davor zu stehen … Ich glaube, der Besuch auf einem Biohof hier in der Nähe hat schließlich den Ausschlag gegeben. Da standen die Kälber natürlich auch in ihren kleinen Plastikhütten, ohne die Mütter … und gleichzeitig hatten meine Schafe Lämmer und kümmerten sich so rührend um sie. Der Widerspruch war einfach eklatant. Viel tierrechtlerisches Tun und „Durchhalten“ ist aber auch schlicht einfacher, wenn man selbst – hoffentlich! – glückliche Tiere hat. Ich verstehe gar nicht, wie andere Leute ihren Tierrechtsaktivismus durchhalten, die lesen immer nur von den gequälten Tieren. Ich sehe wenigstens täglich auch glückliche, freie. Sonst würde ich das gar nicht schaffen, andauernd über diese Probleme zu schreiben.

In Ihrem Buch “Landleben: Von einer, die raus zog” nehmen Sie immer wieder Bezug auf Erzählungen der Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren und das dort beschriebene idyllische Landleben. Inwieweit haben die Bücher Ihr eigenes Leben inspiriert?

HS: Total. Ich gebe zu, als ich hier in die Lüneburger Heide zog, habe ich eine Art Bullerbü gesucht – und gefunden. Es ist genau diese Art Glück (und manchmal Härte) eines Lebens mit den Jahreszeiten und Tieren. Okay, Bullerbü gekreuzt mit Daktari. Ein bisschen Daktari hab ich hier auch.

Neben Beiträgen über tierethische Themen äußern Sie sich auch immer wieder zu feministischen Fragestellungen. Welche Parallelen sehen Sie zwischen Tierrechten und Feminismus?

HS: Ehrlich gesagt hat mir ausgerechnet dieser Strang des Feminismus und der Ökoethik nie eingeleuchtet. Gewiss, da gibt es ein paar Analogien, insbesondere auf metaphorischer Ebene. Aber so richtig in Sachen Politik? Ich denke, es gibt viele Herrschaftsformen – Sexismus, Tierausbeutung, Rassismus, Homophobie – und manche ihrer Unterdrückungsmechanismen überschneiden sich, andere nicht.

Sie äußern sich kritisch gegenüber dem modernen Feminismus, weil sich dieser auf ökonomische Aspekte wie Kinderbetreuungsplätze oder Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen konzentriert. Brauchen wir Quoten?

HS: Der ökonomische Aspekt ist natürlich sehr wichtig, ich finde es nur falsch, wenn man die anderen Themen – insbesondere sexuelle Gewalt – dabei völlig vergisst. In der Tat halte ich Quoten für absolut unentbehrlich, aber da wissen wir wenigstens ein „Rezept“. Bei der sexuellen Gewalt kennen wir, seien wir ehrlich, nicht einmal die Ursachen, geschweige denn eine Lösung. Und die Zahlen zur Vergewaltigung von Kindern sowie von Frauen in Beziehungen sind seit Jahrzehnten leider gleich geblieben.

Außerdem kritisieren Sie, dass Gewalt an Frauen in Europa häufig in Zusammenhang mit dem Islam gebracht wird, obwohl ein erschreckend hoher Prozentsatz aller Frauen in unserer Gesellschaft Opfer von Sexualstraftaten ist. Das erinnert ein wenig an das Thema Schächten, das viele Menschen plötzlich zu Tierschützer:innen werden lässt …

HS: Ja, völlig absurd, das eine wie das andere. Besonders liebe ich es ja, wenn unsere schöne deutsche Bild-Zeitung (die hatten ja bis vor Kurzem noch eine Barbusige vorne auf ihrer Titelseite) über das Machotum der Türken klagt, oder wenn CDU-Politiker (die gegen die Gleichstellung homosexueller Ehen votieren) sich über die Homophobie der Muslime äußern. Was das Schächten angeht, versuche ich immer zu vermeiden, den Eindruck entstehen zu lassen, ich fände irgendeine Art von Tier-Tötung „besser“. Ich bin gegen beide Formen, die industrielle „normale“ und das (inzwischen ja auch meist industrielle) Schächten. Die Tötungstechnik selbst macht ja leider nur einen geringen Teil der Qualen aus, die ein Tier im gesamten Prozess seiner Schlachtung, aber auch schon während seines ganzen Lebens durchleiden muss.

In bestimmten Strömungen des Islams, insbesondere im Sufismus, gilt der Verzicht auf Fleisch als hohes religiöses Ideal. Welche Stellung hat das (nicht-menschliche) Tier im Islam?

HS: Das ist ein Missverständnis, auch Sufis essen im Allgemeinen Tiere. Nur die Mystikerin Rabia war eine frühe Vegetarierin! Es ist in meinen Augen schade und auch unverständlich, warum es bislang so wenige muslimische Strömungen gibt, die sich intensiv mit der Frage der Tierethik befassen. Es gibt so viele Koranstellen zu Tieren (z.B. „Alle Tiere auf der Erde, die gehen oder sich mit Flügeln durch die Luft bewegen, sind Völker wie ihr.“ 6:38) und Aussprüche des Propheten Mohammed zur Schonung der Tiere. Der Platz reicht hier nicht, um alles aufzuzählen …

Die Vegane Gesellschaft Österreich wurde bereits von Muslim:innen kontaktiert, da vegane Produkte auch „halal“ sind. Wie bekannt ist das Wort “vegan” in der muslimischen Glaubensgemeinde?

HS: Das kann ich nicht recht beurteilen; unter meinen Freund:innen ist das natürlich ziemlich bekannt. Jedenfalls wäre es wundervoll, wenn auch andere Muslim:innen auf diese Weise mithelfen würden, die vegane Palette aufzustocken und auf dem Markt zu festigen! Und ich hoffe eben, dass auch immer mehr Menschen, die nach islamischem Glauben leben, einsehen, dass „halal“ nicht nur eine Frage der Tötungstechnik ist. Ich glaube, nichts von dem auf übliche Weise „erzeugten“ Fleisch (also eingesperrte Hochleistungstiere) kann je „halal“ sein.

Haben Sie etwas vom großen Tierschutzprozess in Österreich mitbekommen? Was sind Ihre Gedanken zur Repression von Menschen, die sich für Tierrechte einsetzen?

HS: Dieser Prozess war ein entsetzlicher Augenöffner. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, unsere Geheimdienste und Polizeiapparate hätten sich nur auf „links“ (und auch „muslimisch“) eingeschossen. Stimmt anscheinend nicht. Aber was aus so etwas zu folgern ist? Keine Ahnung! In Deutschland kommt ja gerade das komplette Versagen (oder Mittun?) unseres Sicherheitsapparats bei den Morden der rechtsextremen Zwickauer Zelle ans Tageslicht. Da ist man einfach sprachlos. Was in Geheimdiensten und entsprechenden Behörden so alles an Inkompetenz, Dummheit und politischer Böswilligkeit zusammenkommt, ist für den Außenstehenden nicht nachvollziehbar und schlicht abenteuerlich.

Liebe Frau Sezgin, vielen Dank für das Interview!