Der Hühnerphilosoph: Vom Zusammenleben mit Hühnern

Der Hühnerphilosoph: Vom Zusammenleben mit Hühnern

15.04.2019

Harald Stoiber - besser bekannt als Hühnerphilosoph - lebt mit seiner Frau, einer Katze und 15 geretteten Hühnern in Tirol. Vom Zusammenleben mit seinen gefiederten Mitbewohner:innen - den 14 Hennen und dem Hahn Rudi - erzählt er uns nicht nur im Interview, sondern er berichtet darüber auch einfühlsam auf seinem Blog.

Harald und Wilma (links), Erna (rechts)

Harald, wie bist du vor ein paar Jahren auf die Idee gekommen, Hühner aufzunehmen?

Meine Frau hat einen ehemaligen Bauernhof in Tirol geerbt und uns war von Anfang an klar, dass Tiere mit einziehen werden. Eines Tages habe ich einen Facebook-Aufruf von „Rette dein Huhn“ gesehen. Einige Hühner in Tirol, die zuvor landwirtschaftlich genutzt wurden, waren auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keinen Stall und kaum Ahnung von Hühnern. Ich habe mir einiges an Wissen angelesen, schnell einen Stall secondhand erworben und innerhalb von zwei Wochen konnten zehn Hühner einziehen. Ein Leben ohne sie ist heute unvorstellbar.

Seitdem ist einige Zeit vergangen - neue Hühner sind eingezogen, von einigen musstet ihr Abschied nehmen. Wie alt können „Legehennen“ deiner Erfahrung nach werden?

Es ist schwer zu sagen, wie alt sie werden können. „Legehennen“ werden auf enorm hohe Legeleistung gezüchtet. Sie sind sehr ausgelaugt vom vielen Eierlegen. Das darf man nicht unterschätzen. Eine natürliche Lebenserwartung von wilden Hühnern von 8 Jahren erreichen sie nicht. Ich schätze, dass „Legehennen“ höchstens 4 Jahre werden. Auch meine älteste Henne ist nur 3 ½ bis 4 Jahre geworden.

Aus welcher ehemaligen Haltungsform kommen deine Hühner?

Die meisten kommen in keinem guten Zustand an und sind sehr zerrupft - egal ob sie vorher in Boden- oder Freilandhaltung gelebt haben. Die beiden Haltungsformen sind einander auch relativ ähnlich. Die Platzanforderungen in der Halle sind identisch und auch in der Freilandhaltung verbringen die Hennen lange Zeit drinnen, etwa wegen Nässe oder nicht artgerechten Auslaufmöglichkeiten, die sie dann nicht nutzen.

Wie gestaltet sich für die Hühner die Eingewöhnungsphase bei dir?

Manches können sie von Anfang sehr gut, wie ein Sandbad nehmen oder die Gefiederpflege. Anderes fällt ihnen meist schwer, wie das Gehen auf unebenem Boden oder über Treppen. Auch um den Gartenschlauch haben sie anfangs einen großen Bogen gemacht, da sie die Unebenheit nicht einschätzen konnten. Da stellen sie sich ganz ungeschickt an und sie müssen diese Dinge erst langsam lernen. Kein Wunder eigentlich, wenn sie nur ebenen Boden in Hallen gewohnt sind.

Wie verstehen sich die Hühner untereinander?

Die Hühner akzeptieren sich gegenseitig und es gibt eine stabile Rangordnung. Man merkt vor allem, wer das Sagen hat und die Königin ist. Sie gibt den Ton an, reglementiert am Futtertrog und sagt hin und wieder den anderen, wenn sie genug gehabt haben. Sie ist aber eine der ruhigsten Hennen und keine, die ständig laut schreit. Am Anfang waren die Hennen unter sich. Unseren Hahn Rudi haben wir erst später bekommen. Hähne können nur schwer vermittelt werden. Ich freue mich, zumindest einem einen Lebensplatz bieten zu können.

Tofu (links), Harald und Erna (rechts)

Wie war das Leben der Hühner vor Rudis Ankunft?

Es ist eigentlich ein Mythos, dass Hennen unbedingt einen Hahn brauchen. Dessen Funktionen können auch Hennen selbst übernehmen. Als Rudi ankam war es für sie anfangs eine große Umstellung. Elvis, eine der Hennen, hat bis dahin immer Hahnaufgaben, wie Warn- und Futterrufe, übernommen. Den Warnruf hat sie aufgegeben, zum Essen hat sie aber bis zu ihrem Tod gerufen. Sie haben sich also vorher ganz anders organisiert und waren von keinem Hahn abhängig. Jetzt ist es natürlich sehr schön, dass wir ihn haben.

In Österreich dürfen Küken die hochsensiblen Schnäbel gekürzt werden - in den ersten 10 Tagen ohne jegliche Betäubung! Wie kommen deine Hühner damit zurecht?

Die Maßnahme ist sehr drastisch und wird ergriffen, weil die Hühner in der Landwirtschaft auf so engem Platz zusammenleben müssen und das Verletzungsrisiko hoch ist. Das Resultat sieht oft verheerend aus. Die Schnäbel sind häufig gesplittet und geteilt. Glücklicherweise scheinen meine Hühner heute nicht oder zumindest nicht stark beeinträchtigt zu sein. Beim Essen macht es zumindest nicht den Anschein, dass sie beeinträchtigt sind. Ob sie bei der Gefiederpflege einen längeren Schnabel bräuchten, kann ich nicht beurteilen.

Was hat es mit dem Begriff der solidarischen Hühnerwirtschaft auf sich?

Nach dem Motto „Legen und legen lassen“ leben die Hühner bis zu ihrem natürlichen Lebensabend bei uns - komplett unabhängig, ob sie noch Eier legen oder nicht. Die älteren Hennen legen natürlich weniger, aber trotzdem noch immer. Es gibt Tage, an denen die 14 Hennen 12 Eier legen. Man darf nicht vergessen, dass sie meist wie Maschinen angesehen werden und so auf enorme Legeleistung gezüchtet wurden.

„Keine Feder gleicht der anderen“, schreibst du auf deinem Blog. Was kannst du uns vom Charakter deiner Hühner erzählen?

Sie sind in ihrem Verhalten und ihren Eigenschaften ganz unterschiedlich. Erni, zum Beispiel, war immer alleine und abseits der Gruppe unterwegs. Sie ging sehr gerne und sehr weit spazieren, sang vor sich hin und schien Raum und Zeit dabei zu vergessen. Tofu hingegen ist immer auf mich raufgehüpft und hat sich auf meine Schulter gesetzt. Das finde ich besonders schön, da „Legehennen“ so lange keinen menschlichen Bezug hatten. Da kann es schon etwas dauern, bis sie sich an Menschen gewöhnen, uns vertrauen und eine Beziehung zu uns aufbauen.

Was hat dich zu deiner veganen Lebensweise und deinem Zusammenleben mit Hühnern motiviert?

Ich habe Schritt für Schritt tierische Lebensmittel reduziert und lebe nun seit 5 Jahren vegan. Gerade wenn man sich mit Eiern beschäftigt, kommt man am Veganismus nicht vorbei. Die Eierindustrie und andere Formen von Tierausbeutung zu unterstützen ist für mich nicht mehr möglich. Hühner sind total tolle und liebe Tiere, mit denen man wahnsinnig gut Zeit verbringen kann - alleine, wenn man sie nur ansieht. Ich habe die Möglichkeit, zumindest ein paar Hühnern ein Leben zu ermöglichen, das sie so wahrscheinlich nie hätten. Mir ist es wichtig, aktiv für eine bessere Welt einzutreten und ein Zeichen zu setzen. Bei sogenannten Nutztieren denkt man kaum an deren Persönlichkeiten und sie drohen in der Masse unterzugehen. Doch deren Charakterentwicklung ist nicht anders als bei Katzen und Hunden. Einer der wichtigsten Punkte ist, ihnen Gehör zu verschaffen - das versuche ich mit meinem Blog.

Rudi (links), Rudi und Erna (rechts)

Harald, herzlichen Dank für dein starkes Engagement und einen schönen Gruß an die Hühner!

 

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