Im Gespräch mit Niko Rittenau

Im Gespräch mit Niko Rittenau

02.10.2020

Der studierte Ernährungswissenschaftler und Bestsellerautor Niko Rittenau zählt zu den bekanntesten Veganern im deutschen Sprachraum. Mit seinen zahlreichen Vorträgen und Seminaren begeistert er jährlich tausende Menschen für einen gesunden Lebensstil. Wir haben uns mit dem gebürtigen Kärntner über seinen persönlichen Werdegang, seine österreichischen Lieblingsrezepte und aktuellen Buchprojekte unterhalten.


Fotocredits: Karsten Günter

Hallo Niko! Wir von der Veganen Gesellschaft erinnern uns gern an eines unserer ersten Aktivist_innen-Treffen im Jahre 2012 zurück, denn damals durften wir dich persönlich kennenlernen. Zu diesem Zeitpunkt warst du Vegetarier und hast dich für die vegane Ernährung interessiert. Seitdem ist viel passiert in deinem Leben – mittlerweile gibt es vermutlich kaum eine vegane Person, die dich nicht kennt. Kannst du kurz skizzieren, wie es nach jenem Treffen bei dir weiterging?     

Das Treffen mit der Veganen Gesellschaft war tatsächlich der Startschuss für alles Weitere und daher bin ich dem gesamten Team auch äußerst dankbar dafür. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt noch Unternehmensführung in Wien und wollte Hotelmanager in der Karibik werden. Allerdings interessierte mich der Veganismus mehr und mehr und so ging ich im Sommer 2013 für ein Praktikum nach Berlin. Olivia von der Veganen Gesellschaft hat mir damals geholfen, einen Praktikumsplatz beim Vegetarierbund (heute ProVeg) zu bekommen. Nach einigen Wochen in Berlin habe ich schnell gemerkt, dass ich meinen Traum vom Hotelmanager an den Nagel hängen und lieber Vollzeit etwas für die vegane Bewegung tun wollte. Weil ich zu diesem Zeitpunkt in vielen Ernährungsfragen noch unsicher war, habe ich einen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang in Ernährungsberatung begonnen, um Dinge nicht nur glauben zu müssen, sondern diese auch zu verstehen. Nach dem 2017 abgeschlossenen Bachelorstudium folgte noch ein Masterstudium in Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin, das ich ebenfalls vor kurzem abgeschlossen habe. Ich habe zwar schon während meines Studiums einige Ernährungsvorträge auf veganen Messen gehalten und einige Ernährungsartikel für Magazine geschrieben, aber wirklich Fahrt nahm alles erst im Herbst 2018 auf: Nach knapp zweijähriger Arbeit erschien mein erstes Buch „Vegan-Klischee ade!“, das mittlerweile ein Bestseller ist. Durch den Erfolg des ersten Buches wuchsen auch meine Profile in den sozialen Medien auf Instagram und YouTube enorm schnell und wir konnten mit dem zweiten Buch („Vegan-Klischee ade! Das Kochbuch“ mit Sebastian Copien) direkt auf Platz 2 der Kochbuchcharts einsteigen. Ich freue mich riesig, dass ich mittlerweile meine ganze Zeit diesem Thema widmen kann, und danke allen Personen, die mich und mein Team auf diesem Weg unterstützen. 

Für eine vegane Ernährung sprechen bekanntlich viele gute Gründe: Tierschutz, Ökologie, Gesundheit. Was war deine persönliche Hauptmotivation für den Umstieg?

Mein primärer Grund war von Beginn an der ethische Aspekt. Das ist aus meiner Sicht auch das mit Abstand schwerwiegendste Argument für eine wirklich rein vegane Ernährung. Selbstverständlich kann eine vegane Ernährung bei richtiger Planung auch sehr gesund und ökologisch sinnvoll sein, aber im Kern sehe ich den Veganismus als tierethische Bewegung und meine Aufgabe darin, vegan lebenden Menschen das Wissen zu vermitteln, wie sie ihren ethischen Werten entsprechend essen können und dennoch ihren Nährstoffbedarf optimal decken und somit langfristig gesund leben können.

Worin liegen deiner Ansicht nach – rein gesundheitlich betrachtet – die größten Stärken der pflanzlichen Ernährung?    

Die ernährungswissenschaftliche Datenlage zeigt sehr deutlich, dass es nicht nur die eine (einzige) gesunde Ernährung gibt. Aber es zeigt sich in zahlreichen Untersuchungen, dass eine gut umgesetzte vollwertige vegane Ernährung im Durchschnitt das Risiko für zahlreiche chronisch-degenerative Erkrankungen günstig beeinflussen kann. Die größten Potentiale sehen wir in Studien in Bezug auf Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II. Darüber habe ich auch meine Masterthesis geschrieben und war verblüfft wie vielversprechend die Datenlage hierzu ist. Dennoch möchte ich eine vegane Ernährung aus gesundheitlicher Sicht nicht als den heiligen Gral unter allen Ernährungsweisen darstellen – Veganismus ist im Kern ja eine ethisch motivierte Bewegung. Aber es ist natürlich großartig, dass wir Tierschutz und gesunde Ernährung ohne Kompromisse miteinander verbinden können.

In deinem lesenswerten Buch „Vegan-Klischee ade!“ klärst du fundiert über viele Mythen rund um die vegane Ernährung auf. Warum, glaubst du, gibt es immer noch so viele Vorurteile gegenüber rein pflanzlicher Kost? Gerade die deutschsprachigen Fachgesellschaften sind ja sehr skeptisch eingestellt, speziell was vegane Kinderernährung betrifft.  

Ich habe genau zu dieser Fragestellung ein eigenes Kapitel in meinem Buch. Nach Durchsicht der Datenlage liegt es nach meinem Verständnis an einem zentralen Element: der mangelnden Anreicherung der Lebensmittel in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Ländern wie den USA und Kanada, in denen eine vegane Ernährung von den Ernährungsfachgesellschaften für jede Lebensphase empfohlen wird, sind Mehlerzeugnisse, Pflanzendrinks, Fleischersatzprodukte und weitere Lebensmittel deutlich häufiger mit potenziell kritischen Nährstoffen angereichert als bei uns. Darüber hinaus haben einige Länder auch eine bessere Mineralisierung ihrer Böden (z. B. in Bezug auf Selen) als es in Europa der Fall ist. Während in der „Nutztier“-Haltung auch hierzulande dem Tierfutter zahlreiche Nährstoffe beigemengt werden, findet keine umfassende Anreicherung in veganen Lebensmitteln statt und die EU-Bioverordnung legt dieser Anreicherung sogar zusätzlich noch Steine in den Weg. Hätten wir eine umfassende Anreicherung der veganen Grundnahrungsmittel mit all den kritischen Nährstoffen und dazu einige weitere neuere wissenschaftliche Daten speziell zur veganen Ernährung in der Schwangerschaft, Stillzeit und im Kindesalter, bin ich überzeugt davon, dass auch die deutschsprachigen Fachgesellschaften recht schnell ihre Positionspapiere ändern würden. Ich erachte das also lediglich als eine Frage der Zeit.

Was empfiehlst du Menschen, die sich gerade im Umstellungsprozess auf eine pflanzliche Ernährung befinden? Worauf sollten sie besonders achten?       

Ich habe im „Vegan-Klischee ade“-Kochbuch 10 Tipps für eine gesunde vegane Ernährung zusammengestellt und zu jedem der Tipps auch ein kostenloses Video auf meinem YouTube-Kanal veröffentlicht. Wenn man diesen 10 Tipps folgt und sich ein Grundverständnis in Ernährungsfragen aneignet kann nicht mehr so viel schief gehen. Wichtig finde ich außerdem, dass man beim Umstieg nicht zu hart mit sich selbst ist und sich die Zeit nimmt, die man braucht und Freude an der Umstellung und all den neuen Lebensmitteln hat, die man durch die vegane Ernährung kennenlernen wird. Darüber hinaus gibt es zahlreiche kostenlose vegane „Einstiegsprogramme“, die mit Basis-Informationen, Alltagstipps und Rezepten den Einstieg erleichtern. Sei es euer Veganer Monat“  oder die „Veggie Challenge“ von Proveg, der „Veganstart“ von PETA oder die „Vegan Taste Week“ der Albert Schweitzer Stiftung. Am besten man meldet sich bei Interesse am Veganismus bei allen gleichzeitig an und bekommt so die volle Ladung an Informationen.

Aktuell schreibst du an einem neuen Buch. Um was wird es dabei gehen?     

Tatsächlich schreibe ich seit der Fertigstellung des Kochbuchs sogar an zwei neuen Büchern gleichzeitig. Im Dezember erscheint in Zusammenarbeit mit Sebastian Copien ein weiteres Kochbuch, in dem wir vegane Rezepte mit Blick auf ein besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis kreiert haben. Wir wollen damit dem Vorurteil entgegenwirken, dass vegane Ernährung nicht auch mit sehr kleinem Budget möglich wäre. Im Frühjahr 2021 erscheint dann als zweites das Sachbuch „Vegan ist Unsinn! – 111 Argumente gegen den Veganismus und wie man sie entkräftet“ zusammen mit den Co-Autoren Patrick Schönfeld (der Artgenosse), Ed Winters (Earthling Ed) und Stefan Kirschke. Dieses Werk wird um die 500 Seiten umfassen und das Thema der Tierethik samt der 111 gängigsten antiveganen Argumente behandeln. Das Ziel war es, in diesem Buch ähnlich umfassende und detaillierte Aufklärung in ethischen Fragen zu liefern wie ich es 2018 im ersten Buch „Vegan-Klischee ade!“ in Bezug auf Ernährungsthemen gemacht habe.

Neben deinen Büchern hast du einen YouTube-Kanal, auf dem du regelmäßig professionelle Videos zu aktuellen Themen veröffentlichst, hältst umfangreiche Seminare und tourst von Messe zu Messe, um Vorträge vor vollen Sälen zu halten. Nebenbei hast du auch noch einen Master-Studiengang absolviert. Das ist alles unglaublich beeindruckend. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob da überhaupt noch ausreichend Zeit bleibt für eine gesunde Ernährung.    

Ja, das sind einige der wichtigsten Projekte und wir machen auch hinter den Kulissen noch einiges mehr, das noch nicht ganz spruchreif ist. Wenn ich das alles alleine stemmen müsste, würde das auf keinen Fall klappen. Glücklicherweise habe ich aber tatkräftige Unterstützung von meinem Kollegen Benjamin Ploberger, der auch aus Österreich kommt und mich seit Anfang 2019 nicht nur bei allen Projekten unterstützt, sondern auch sehr oft bei uns kocht. Da er ein richtig guter Koch ist, bin ich in der glücklichen Lage, dass wir im Büro stets sehr gut essen können.

Wie sieht denn essenstechnisch ein typischer Tag bei euch aus?         

Wir versuchen zeitrestriktives Essen zu praktizieren und nehmen unsere drei Mahlzeiten in der Regel zwischen 9:00-19:00 Uhr zu uns. Die restliche Zeit essen wir nicht, aber es ist natürlich auch nicht immer so streng. Während des Essensfensters essen wir eigentlich meist nach dem „Vegan-Klischee ade!“-Kochbuch: Zum Frühstück gibt es eine Art Haferporridge mit Pflanzenmilch, Nüssen, Samen, Nussmus und Früchten. Zu Mittag essen wir meist verschiedene Gemüsepfannen mit einer Getreidekomponente (Reis, Pasta, Quinoa etc.) und einer Proteinkomponente (Tofu, Tempeh, Seitan, Hülsenfrüchte, Fleischersatz etc.) sowie erneut vielen Nüssen und Samen. Am Abend jausnen wir und haben dann eine Auswahl an verschiedenen Broten, Aufstrichen, fermentiertem Cashewkäse, eingelegtem und frischem Gemüse etc. Im Grunde also relativ einfach, aber gut abwandelbar, damit es nicht eintönig wird. Zusammen mit der Ergänzung einiger kritischer Nährstoffe als Supplemente liefert uns der Speiseplan alles, um unseren täglichen Nährstoffbedarf optimal zu decken und das Essen in vollen Zügen zu genießen.

Du wohnst in Berlin – ein wahres Paradies für Veganer_innen. Vermisst du dennoch manchmal die traditionelle österreichische Küche? Was ist dein österreichisches Lieblingsrezept?

In Berlin kann man wirklich ausgezeichnet vegan essen, aber ich habe früher natürlich viele österreichische Klassiker geliebt! Kärntner Kasnudeln, Kaiserschmarren, Grießnockerlsuppe, Kasspätzle und viele weitere zählten damals zu meinen absoluten Lieblingsgerichten! Ich wurde ja nicht vegan, weil ich Fleisch, Käse und Eier nicht mochte, sondern weil ich trotz des großartigen Geschmacks den Konsum ethisch nicht rechtfertigen konnte. Zum Glück gibt es aber auch einige sehr leckere vegane Alternativen zu vielen meiner Lieblingsspeisen. Mein Favorit waren früher knusprig gebratene Kärntner Kasnudeln mit einem gemischten Salat mit gutem steirischen Kürbiskernöl-Dressing. Auch hierfür hat mein guter Freund Sebastian Copien in seinem Kochbuch „Die vegane Kochschule“ eine sehr gute vegane Variante, die ich gerne mag.

Corona-bedingt musstest du leider dein Ernährungsseminar für Wien, das wir für Ende dieses Jahres geplant hatten, absagen. Wir haben aber bereits einen Alternativtermin im November 2021 gefunden. Wie sehen denn generell deine Pläne für das nächste Jahr aus?

Ja, das ist sehr schade, dass es dieses Jahr nicht klappt! Ich freue mich aber schon sehr darauf, mein 4-Tages-Seminar 2021 in Österreich zu halten. In Bezug auf meine weiteren Pläne: Derzeit sehe ich mich nach einer passenden Möglichkeit für meine Doktorarbeit in Ernährungswissenschaften um, mit der ich aller Voraussicht nach im nächsten Jahr beginnen werde. Darüber hinaus gibt es aktuell so viele Ernährungsthemen, die mir wichtig sind und über die es noch zu wenig fundierte Bücher gibt, dass ich tatsächlich auch schon an meinem fünften Buch arbeite. Dieses wird voraussichtlich im Herbst 2021 erscheinen. Details dazu kann ich hoffentlich bald kommunizieren. Ansonsten veröffentlichen wir weiterhin jeden Mittwoch um 16:00 ein neues Ernährungsvideo auf YouTube und werden wie gewohnt in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Vorträgen auf Tour sein. Darüber hinaus haben wir wie gesagt noch einige weitere Projekte geplant, die noch nicht ganz spruchreif sind. Aber ich denke, da wird einiges dabei sein, das die Leute freuen wird.

Lieber Niko, viel Erfolg bei allen weiteren Projekten und herzlichen Dank für das Interview! Wir freuen uns schon sehr auf dein Webinar und deine Vorträge, die du im Rahmen unserer Vegan Planet im November in Wien halten wirst.

Die Freude ist ganz meinerseits und ich freue mich ebenso schon sehr auf die Vegan Planet! Es ist immer etwas Besonderes für mich, in meinem Heimatland zu sein, und gerade in Wien fühle ich mich sehr wohl und habe hier ja auch über ein Jahr lang gelebt. Vielen Dank für das Organisieren der Messe und für alles, was ihr für die vegane Bewegung tut!

Geplante Veranstaltungen mit Niko Rittenau:

Bücher von Niko Rittenau:

  • Vegan Klischee ade! Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung
  • Vegan Klischee ade! Das Kochbuch (in Kooperation mit Sebastian Copien)

Die Bücher sind in unserem Shop unter www.vegan.at/shop erhältlich.

Zu Nikos "Top-5-Tipps für eine gesunde Ernährung" gelangt ihr hier.