Sensation: Protein aus Gras – bald auch für die menschliche Ernährung?

Sensation: Protein aus Gras – bald auch für die menschliche Ernährung?

16.05.2024

Veganer:innen essen nur Gras? Was bisher ein abfällig ausgesprochenes Klischee war, könnte in Zukunft eiweißreiche Wirklichkeit werden: Ein innovativer österreichischer Umweltexperte beschäftigt sich mit der Gewinnung von Proteinen aus Gras für die menschliche Ernährung. Dadurch könnte Grünland in Österreich in Zukunft effizienter genutzt werden.

Aus Gras wird Protein

Eine Kuh bringt ausgewachsen mehrere hundert Kilo auf die Waage. Dabei besteht ihr Futter aus Gras und Heu – die Nährstoffe aus den grünen Halmen reichen dafür aus, dass die Kuh gesund zu ihrer vollen Größe heranwächst. Könnte man dieselben Nährstoffe dann nicht auch für Menschen nutzbar machen? Der Umwelt- und Energieexperte Martin Mandl hat sich diese Frage schon vor Jahren gestellt und ist der Antwort mit seinen Forschungen im Bereich der Bioraffination inzwischen ein großes Stück näher gekommen. In einer Bioraffinerie werden die gewünschten Stoffe aus der zugrundeliegenden Biomasse isoliert. Im Fall von Martin Mandls EU-Life-Projekt „farm4more“ im Waldviertel handelt es sich dabei um die Extraktion von Aminosäuren (also den Bausteinen für Proteine) aus biozertifiziertem Kleegras. Dabei wird die gesamte Biomasse verwendet und es entsteht kein Abfall, denn nach der Extraktion werden die Reste zu Biogas umgewandelt.

Auch in anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Finnland, den Niederlanden und Irland wird bereits mit ähnlichen Herstellungsverfahren experimentiert. Aminosäuren-Extrakte sind natürlich nur die Basis für Produkte, die in den Supermarktregalen landen könnten. Christoph Geil, ein findiger deutscher Landwirt, experimentiert ebenfalls mit Proteinen aus Gras und hat daraus bereits Produkte wie Käse, Fleischlaibchen und Currywurst hergestellt.

Eiweiß – ohne Umweg über Futtermittel

Derzeit sind jedoch weder Gras noch Extrakte oder Produkte daraus in der EU als Lebensmittel für den menschlichen Verzehr zugelassen. Die Aminosäuren-Extrakte aus Grassäften, die bei Versuchsprojekten wie dem von Martin Mandl hergestellt werden, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch primär als alternatives Futtermittel (z. B. für Schweine, aber auch für Hunde und Katzen) gedacht. Eine Zulassung von Grasprotein als neuartigem Lebensmittel würde zwar Zeit und Geld kosten, sich letztendlich aber lohnen: Schließlich bedeutet das Verfüttern von Pflanzenproteinen an Tiere mit dem Ziel, Fleisch oder Milchprodukte herzustellen, einen Umweg über den Tiermagen.

Dieselben pflanzlichen Eiweißquellen könnten gleich direkt von Menschen verzehrt werden, was doppelt vorteilhaft wäre: Zum einen lassen sich dadurch Ressourcen einsparen (was angesichts der Klimakrise nur zu begrüßen ist), zum anderen lässt sich Tierleid in enormem Ausmaß vermeiden, wenn wir Menschen pflanzliches Protein direkt nutzen, anstatt Tiere unter grausamen Bedingungen zu halten und zu schlachten. Luzerne und Kleegras, zwei der am häufigsten anzutreffenden Pflanzen im Grünland, weisen einen Eiweißanteil von 20 bzw. 25 Prozent in der Trockenmasse auf. Zum Vergleich: Soja kann (je nach Produkt) mit 15 bis 40 Prozent Proteinanteil aufwarten, tierisches Fleisch mit 16 bis 30 Prozent. Das Interesse am Gras ist also berechtigt!

Grünlandnutzung: Chancen der neuen Proteinquelle in Österreich

Was Gras als Eiweißlieferant insbesondere für Österreich interessant macht: Gras wächst praktisch überall, auch in Hanglagen. Gerade letztere werden oft als landwirtschaftlich kaum nutzbar angesehen. Mit der Umwandlung von Gras in Protein lassen sich große Flächen erschließen und für die Lebensmittelproduktion gewinnen. All das ohne Umweg über die Kuh!

Derzeit werden 80 Prozent der 2,4 Mio. Hektar Grünland in Österreich für den Grünfutteranbau verwendet. Die Protein-Ausbeute wäre ungleich höher, wenn diese Flächen unmittelbar für die Gewinnung von Proteinen für den menschlichen Verzehr genutzt würden. Innovative Produkte aus Grasprotein könnten zudem den Wirtschaftsstandort Österreich aufwerten und die Proteinwende vorantreiben. Dabei ist politische Unterstützung mit Weitblick gefragt, damit pflanzliches Eiweiß stärker gefördert wird und Konsument:innen der Griff zu nachhaltigen Produkten leichter fällt.

Weiterführende Links

Ausführlicher Artikel zum Thema in der Wiener Zeitung
EU-Life-Projekt „farm4more“
Gewinnung von Proteinen aus Grassäften
Grünlandbewirtschaftung in Österreich
„Gras für alle“ – Artikel in der SZ
„Protein aus Gras“ – Artikel über Christoph Geil bei agrarheute