Wovon Hühner träumen

Wovon Hühner träumen

30.09.2019

Bedürfnisse und Lebensrealität der gefiederten Tiere

Wir bewundern die Intelligenz von Raben und die Fürsorglichkeit von Schwänen. Wir betrachten Eulen als Symbol von Weisheit und verbinden den Adler mit Freiheit. Die emotionalen und kognitiven Fähigkeiten von Vögeln scheinen von allgemeinem Interesse zu sein – mit einer Ausnahme: Dem Haushuhn wird meist wenig Beachtung geschenkt. Dabei ist es jenes Landlebewesen, das am stärksten vom Menschen ausgebeutet wird. Jährlich werden weltweit etwa 45 Milliarden Hühner geschlachtet!

Die soziale Welt der Hühner

Hühner haben wie Hunde und Katzen vielfältige Bedürfnisse und Eigenschaften. In vielerlei Hinsicht sind sie sich äußerst ähnlich. So geben zufriedene Hühner, wenn sie gestreichelt werden, gurrende Geräusche von sich, die an das Katzenschnurren erinnern. Hennen sind außerdem fürsorgliche Mütter: Sie kommunizieren mit ihren Küken bereits, wenn sich diese noch im Ei befinden. Mit piependen und klopfenden Geräuschen machen die Küken auf sich aufmerksam. Die Mütter reagieren auf kummervolle Geräusche aus dem Ei mit beruhigenden, sanften Tönen. So wird bereits vor dem Schlüpfen eine innige Mutter-Kind-Beziehung aufgebaut. Das Bedürfnis, ihre Kinder zu schützen, zeigen die Hennen auch beim Nestbau, dem sie viel Zeit und Energie widmen. Natürlicherweise leben Hühner in einer Gruppe von 20 Individuen zusammen. Sie bilden eine stabile Rangordnung, die jedem Huhn eine Position im sozialen Gefüge zuweist und so ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Bemerkenswert ist auch die Kommunikationsfähigkeit: Über 20 Laute dienen der gegenseitigen Verständigung, wobei Lock-, Warn- und Futterrufe zu unterscheiden sind. Zu den Lieblingsbeschäftigungen der Hühner zählen Picken und Scharren. Etwa die Hälfte des Tages ist der Nahrungssuche gewidmet. Wichtig für die Gesundheit ist auch die Gefiederpflege, weswegen regelmäßige, ausgiebige Staubbäder hoch im Kurs stehen.

Hühner in der Landwirtschaft

Die Auslebung ihrer Bedürfnisse wird landwirtschaftlich genutzten Hühnern meist komplett verwehrt. Die Küken erblicken in Brütereien das Licht der Welt, ohne jemals ihre Mutter kennenzulernen. Die Zucht auf eine Nutzungsart – Fleisch oder Eier – bestimmt den weiteren Lebensverlauf. „Masthühner“ wurden so gezüchtet, dass sie rasant zunehmen und nach etwa einem Monat ihr Schlachtgewicht erreichen. Aufgrund des unnatürlich schnellen Wachstums sind Knochenbrüche, Skelett- und Muskelerkrankungen weit verbreitet. Pro Quadratmeter dürfen „Masthühner“ mit einem Gesamtgewicht von 30 kg gehalten werden, was etwa 20 Individuen entspricht. Bei den „Legehühnerrassen“ werden zunächst die männlichen Küken aussortiert und an ihrem ersten Lebenstag getötet, da sie keine Eier legen und im Vergleich zu den „Masthühnern“ nur langsam zunehmen. Ihre Schwestern legen in einem intensiven ersten Jahr über 300 Eier und werden danach geschlachtet – lange vor dem Ende ihrer natürlichen Lebenserwartung. Aufgrund der zuchtbedingt hohen Legeleistung leiden sie häufig an Erkrankungen der Legeorgane, Osteoporose und Knochenbrüchen. In Österreich leben die meisten „Legehennen“ in Bodenhaltung, in welcher 7 bis 9 Tiere pro Quadratmeter zusammengepfercht werden. Mangelnde Bewegungsfreiheit, hohe Besatzdichten und fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten führen zu physischen und psychischen Problemen, von Langeweile und Aggressivität bis zu Federpicken und Kannibalismus. Statt die Ursachen des Problems zu bekämpfen, wird zu Maßnahmen wie dem Schnabelkürzen gegriffen. Dieses ist in den ersten Lebenstagen sogar ohne Betäubung zulässig!

Der Hühnerphilosoph

Die Mensch-Huhn-Beziehung kann harmonisch und wertschätzend sein, wie es Harald Stoiber – auch bekannt als Hühnerphilosoph – vorlebt. Seit einigen Jahren teilt er sein Zuhause mit geretteten „Legehennen“. Über seine Erlebnisse berichtet er auf seinem Blog. „Die meisten Hühner haben gekürzte Schnäbel, gestutzte Flügel und sind bei ihrer Ankunft sehr zerrupft – egal ob sie aus der Boden- oder Freilandhaltung kommen. Manches können sie bei ihrer Ankunft sehr gut, wie ein Sandbad nehmen. Anderes fällt ihnen schwer, wie über unebenen Boden gehen. Da stolpern sie anfangs stark herum.“, erzählt Harald Stoiber. Das Zusammenleben mit Hühnern empfindet er als sehr bereichernd: „Es dauert meist einige Zeit, bis die Hühner eine Beziehung zu mir aufgebaut haben. Sie sind menschlichen Kontakt nicht gewohnt. Da freut es mich besonders, wenn Hennen meine Nähe suchen und sich auf meinen Schoß setzen. Man merkt, dass jedes Huhn eine ganz eigene Persönlichkeit hat. Erni zum Beispiel war eine verträumte, tollpatschige und menschenbezogene Henne, die meist abseits der restlichen Hühnergruppe unterwegs war, weite Spaziergänge unternahm und immer vor sich hinsang. Elvis hingegen war eine selbstbewusste, aber menschenscheue Henne, die „Hahnfunktionen“ übernommen hat, wie Warn- und Futterschreie, bis Rudi bei uns eingezogen ist.“ Es gibt aber auch traurige Momente: „Meine älteste Henne ist etwa vier Jahre geworden. Man darf nicht unterschätzen, wie sehr das zuchtbedingte häufige Eierlegen die Hennen auslaugt. So ist die Lebenserwartung viel geringer wie bei wilden Hühnern.“

Täglich ein Zeichen für Hühner setzen

Hühner sind faszinierende Lebewesen, die eine respektvolle Behandlung und ein ausbeutungsfreies Leben verdient haben. Ein Tipp für hühnerfaszinierte Personen, die genügend Zeit und Ressourcen haben: Der Verein „Rette dein Huhn“ setzt sich für die Vermittlung von „ausgedienten Legehennen“ ein, die so vor dem Tod bewahrt werden. Darüber hinaus können Fleisch und Eier in der Küche einfach durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden: Zahlreiche Rezepte, Koch- und Backtipps finden sich hier. So kann jede:r von uns täglich für eine tierfreundlichere Welt eintreten!