Neue Studie: Einfluss vegetarischer Ernährung auf koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle

Neue Studie: Einfluss vegetarischer Ernährung auf koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle

07.09.2019

Mit Headlines wie „Pflanzliche Ernährung: Gut fürs Herz, schlecht fürs Hirn“ (ORF) oder „Vegetarier und Veganer haben laut Studie höheres Schlaganfallrisiko als Fleischesser“ (Der Standard) machen derzeit zahlreiche Zeitungsberichte und Online-Artikel auf eine neue Studie aufmerksam. Schnell entsteht der Eindruck, eine vegetarische Ernährung wäre gesundheitsgefährdend. Das steht im Widerspruch zu zahlreichen Studien, die einer pflanzlichen Kost viele gesundheitliche Vorteile bescheinigen – auch in Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wie lässt sich also die aktuelle Veröffentlichung einordnen? Zum besseren Verständnis werfen wir einen Blick auf die Originalpublikation im wissenschaftlichen Journal The BMJ (British Medical Journal).

Daten der großen EPIC-Oxford-Studie

Die britische Studie basiert auf Daten der EPIC-Oxford-Studie, die zu den größten Langzeitstudien zählt, die je mit Vegetarier:innen und Veganer:innen durchgeführt wurden. Von insgesamt 48.188 Teilnehmer:innen ernährten sich 16.254 vegetarisch oder vegan. Veganer:innen wurden leider nicht extra betrachtet, sondern zur Gruppe der Vegetarier:innen gezählt. Mit 1.832 Teilnehmer:innen war die vegane Gruppe allerdings sehr klein – vermutlich aufgrund der kleinen Zahl an aufgetretenen Schlaganfällen zu klein, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erzielen. Beobachtet wurden die Teilnehmer:innen ab 1993 über 18 Jahre hinweg.

Ergebnisse der Studie

Im Laufe des Beobachtungszeitraums kam es zu 2.820 koronaren Herzerkrankungen und 1.072 Schlaganfällen, darunter waren 300 hämorrhagische Schlaganfälle. Studienleiterin Tong ermittelte für die Vegetarier:innen ein um 22 % vermindertes Risiko für koronare Herzerkrankungen. Pescetarier:innen, also Menschen, die Fisch, aber kein anderes Fleisch essen, erkrankten zu 13 % seltener. Gleichzeitig war für Vegetarier:innen das Schlaganfallrisiko um 20 % erhöht, was vor allem auf einen Anstieg der hämorrhagischen Schlaganfälle zurückzuführen war.

Warum traten bei den Vegetarier:innen mehr Schlaganfälle auf?

Die Gründe, warum die Vegetarier:innen in dieser Studie häufiger einen hämorrhagischen Schlaganfall erlitten, sind unklar. Die Studienautor:innen diskutieren verschiedene Faktoren, darunter weniger LDL-Cholesterin sowie ein niedrigerer Spiegel an verschiedenen Nährstoffen wie Vitamin B12, Vitamin D, langkettigen Omega-3-Fettsäuren und essentiellen Aminosäuren. Anders als es einige Medienartikel darstellen, steht Vitamin B12 nicht im Fokus ihrer Erwägungen. Weitere Studien sind zur Ursachenerforschung dringend notwendig.

Niedrigeres Risiko für koronare Herzerkrankungen bei vegetarischer Ernährung bestätigt

Mit ihrer Studie bestätigte Tong, was bereits in zahlreichen früheren Studien gezeigt werden konnte: Vegetarier:innen und Veganer:innen haben im Vergleich zu Allesesser:innen ein deutlich reduziertes Risiko für koronare Herzerkrankungen.

Schlaganfall-Risiko: Widersprüche zu früheren Studien

Die vorliegende Studie war die erste, die ein häufigeres Auftreten von Schlaganfall bei Vegetarier:innen feststellte. Frühere Kohortenstudien mit Vegetarier:innen zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen vegetarischer und omnivorer Ernährung. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2016, die 2.079.236 Teilnehmer:innen umfasste, zeigte sogar das Gegenteil: Ein hoher Konsum von rotem Fleisch erhöhte das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. In diesem Fall war allerdings das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall vergrößert. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind also nur als ein erster Hinweis darauf zu verstehen, dass eine vegetarische Ernährung das Risiko für (hämorrhagischen) Schlaganfall erhöhen könnte. Zur Abklärung, ob dieser Zusammenhang überhaupt durch andere Studien bestätigt werden kann, besteht ein großer Forschungsbedarf.

Insgesamt reduziertes Erkrankungsrisiko mit pflanzlicher Ernährung

Dass Vegetarier:innen und Veganer:innen ein verringertes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und viele weitere Krankheiten haben, belegen zahlreiche Studien. Ob eine vegetarische Ernährung das Risiko für Schlaganfall erhöhen kann, ist in Anbetracht der gesamten Studienlage nicht als gesichert anzusehen. Eine vegetarische und insbesondere eine vegane Ernährung kann sogar dabei helfen, Risikofaktoren für Schlaganfall zu reduzieren - wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus. Bei der Interpretation der vorliegenden Studie ist außerdem zu beachten, dass koronare Herzerkrankungen wesentlich häufiger auftreten als Schlaganfälle. Eine Risikoreduktion um 22 % bei den koronaren Herzerkrankungen hat demnach deutlich größere Auswirkungen als eine Reduktion um 20 % bei den Schlaganfällen – unterm Strich kann man sein Erkrankungsrisiko also selbst nach dieser Studie mit einer vegetarisch-veganen gegenüber einer omnivoren Ernährung deutlich verringern.