Endstation Wüste: Das Geschäft mit den schwangeren Rindern

Endstation Wüste: Das Geschäft mit den schwangeren Rindern

10.02.2025

Jährlich werden tausende schwangere Rinder unter dem Vorwand des Herdenaufbaus von Österreich nach Algerien exportiert. Laut österreichischem Recht ist der Export von Tieren in Drittländer wie Algerien streng verboten, lediglich Zuchttiere dürfen ins Ausland gebracht werden. Doch immer mehr Hinweise legen nahe, dass die Transporte nicht den deklarierten Zwecken dienen, sondern auch zur Schlachtung der Tiere unter grausamen Bedingungen genutzt werden. Dennoch unterstützen österreichische Behörden und die Wirtschaftskammer die Branche.


Recherchematerialien zum Projekt © The Marker

In Österreich werden mehr Rinder gezüchtet, als für die Fleischproduktion benötigt werden, und der Überschuss wird ins Ausland exportiert: Laut Statistik Austria lag Österreichs Selbstversorgungsgrad mit Fleisch von Rindern und Kälbern im Jahr 2022 bei 144 %. Das im selben Jahr in Kraft getretene Tiertransportgesetz untersagt den Export von Rindern in Drittstaaten, es sei denn, das Zielland steht auf einer Liste – Algerien gehört nicht dazu. Mehrere Gesetzeslücken lassen es jedoch zu, dass schwangere Rinder nach Nordafrika verfrachtet werden.

Tierleid unter dem Deckmantel des Herdenaufbaus

Investigativjournalist:innen der NGO The Marker haben Belege gesammelt, die darauf hinweisen, dass zehntausende schwangere Kühe vorsätzlich als Zuchttiere deklariert werden, obwohl sie in Wahrheit unter anderem für die Schlachtung bestimmt sind. Dieses Schlupfloch wird zunehmend genutzt, um das Verbot zu umgehen. Zwischen 2015 und 2020 ging die Rinderpopulation in Algerien trotz Importen aus Österreich und anderen Ländern um 19 % zurück. Seit dem Beginn der Exporte hat Österreich mehr als 60.000 Tiere nach Algerien verfrachtet.


Die Kühe verbringen viele Stunden auf engstem Raum im LKW nach Slowenien, bevor sie sich unter katastrophalen Bedingungen sechs Tage auf dem Frachtschiff befinden. © The Marker

Mehrere Stunden LKW, sechs Tage Schiff

Obwohl innerhalb der EU strenge Vorschriften für Tiertransporte gelten, sind sie nach dem Verlassen des europäischen Hoheitsgebiets kaum kontrollierbar. Nach dem österreichischen Tierschutzgesetz ist der Transport nach Algerien auch dann legal, wenn der Bestimmungsort innerhalb von 82 Stunden Fahrtzeit erreichbar ist und wenn während dieser Zeit eine 24 Stunden lange ununterbrochene Pause gemacht wird, in der die Tiere abgeladen und versorgt werden.

Um das rechtlich erlaubte Zeitfenster einzuhalten und die Regelung zu umgehen, werden die vielen Tage auf See fälschlicherweise als Ruhezeit angerechnet. Das konnten die Journalist:innen bei einem Export über einen französischen Hafen dokumentieren: Die schwangeren Rinder wurden direkt auf das Schiff umgeladen, ohne die vorgeschriebene Pause einzuhalten.

Der Transport ist eine immense Belastung für die Tiere. Die aktuell genutzte Route bedeutet eine mehrstündige LKW-Fahrt von den österreichischen Viehmärkten zum slowenischen Hafen von Koper und endet nach einer sechstägigen Überfahrt per Schiff in Algerien. Diese Bedingungen bedeuten enormen Stress für die Rinder: Mangelhafte Belüftung und schlechte hygienische Bedingungen machen die Reise zur Qual. Häufig befinden sich bis zu 2.000 Tiere gleichzeitig auf einem Schiff. Sie leiden unter beengten Verhältnissen und unzureichender Versorgung mit Wasser und Futter.

Verhängnisvoller Teufelskreis

Die Auswirkungen der Exporte sind verheerend, sowohl für die schwangeren Kühe als auch für die Bäuer:innen vor Ort. In Algerien angekommen, erwartet die Kühe ein grausames Schicksal: Es sind meist weder adäquate Haltungsbedingungen noch ausreichende Schutzstandards vorhanden. Die Rinder leiden unter den harten klimatischen Bedingungen und der Futterknappheit, werden dadurch krank, dürr und geben deutlich weniger Milch. Dies führt dazu, dass sie frühzeitig geschlachtet werden und das ohne Betäubung – eine Praxis, die minutenlanges Leiden verursacht.

Die wirtschaftlichen Interessen der Exporteur:innen und der Mangel an Alternativen für die algerischen Bäuer:innen fördern die fortlaufenden Exporte trotz der schlechten Bedingungen. Die österreichischen Zuchtverbände tragen durch einen erhöhten Exportdruck weiterhin zu diesem Teufelskreis bei: Auch im kommenden Jahr planen die Milchbäuer:innen, ihre überzähligen Rinder ins Ausland zu verfrachten. Im September 2023 eröffnete Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) eine Zuchtrinderausstellung von jenem Verband, der laut Recherchen schwangere Rinder nach Algerien exportiert.


In Algerien kommen die Kühe schließlich auf einen Rindermarkt, wo sie an Händler:innen und Bäuer:innen verkauft werden. Thomas Stelzer (Landeshauptmann von Oberösterreich), Bundeskanzler Karl Nehammer und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig nahmen im September 2023 an einer Viehmesse in Ried im Innkreis teil. Der Verband hinter der Messe ist laut The Marker für Exporte nach Algerien verantwortlich. © The Marker

Schwachstellen im System

Die Journalist:innen von The Marker zeigen zudem, dass es weder eine gezielte Strategie zum Herdenaufbau noch flächendeckende Aufzeichnungen zu den importierten Tieren gibt. Es ist daher davon auszugehen, dass weder die algerischen noch die österreichischen Behörden wissen, wo sich die exportierten Rinder und ihre Kälber schlussendlich befinden. Wegen der katastrophalen Bedingungen, mangelnder Transparenz und unzureichenden Tierschutzstandards hat Deutschland den Export von Rindern nach Algerien bereits seit 2019 eingestellt.

Die Aufdeckungsarbeit zu den illegalen Transporten beleuchtet die Schwachstellen im System und die Versäumnisse der Behörden bei der Gesetzesüberwachung. Während österreichische Behörden weiterhin Exportgenehmigungen erteilen, die auf fragwürdigen Angaben beruhen, leiden die Tiere unter den schwerwiegenden Folgen dieser Gesetzeslücken. Tierschutzorganisationen fordern eine strengere Durchsetzung der bestehenden Gesetze sowie eine Überprüfung der Ausnahmeregelungen, die es ermöglichen, Tiere unter dem Vorwand der Zucht ins Ausland zu bringen, nur um sie dort letztlich zu schlachten.

Die Recherchen der Journalist:innen führten zu einem medialen Aufschrei, zahlreiche Politiker:innen sowie Zuchtverbände nahmen Stellung. Das für Tierschutz zuständige Gesundheitsministerium kündigte daraufhin im Frühjahr 2024 an, die Vorwürfe zu überprüfen, bisher gab es dazu jedoch keine neuen Entwicklungen.

 

THE MARKER ist ein spendenfinanziertes Recherche-Start-up aus Vorarlberg, das sich auf investigativen Journalismus im Tier- und Umweltschutz spezialisiert hat. Das elfköpfige Team deckt Missstände im internationalen Tierhandel auf und informiert die Öffentlichkeit über das Leiden der Tiere. Das Ziel besteht darin, politischen Druck zu erzeugen, um strengere und transparentere Regelungen anzustoßen. Mehr Infos und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es auf themarker.org.