Auf der Suche nach veganen Čevapčići
Auf der Suche nach veganen Čevapčići
Serbien steht bei kaum jemandem weit oben auf der Bucket List. Zudem ist es nicht unbedingt als Paradies für vegane Menschen bekannt. Fast alle traditionellen Gerichte werden original mit Fleisch zubereitet: Pljeskavica, Cevapcici, Djuvec, Sarma, Kajmak, Burek. Bonnie Swan und Clyde Salmon haben in Belgrad und in Novi Sad nach veganen Köstlichkeiten gesucht und dabei entdeckt: Der Balkan ist auch nicht mehr das, was er einst war.
Im orthodox geprägten Land wird großteils vor dem Osterfest gefastet und dabei - mitunter ganze vierzig Tage lang - auf Fleisch, Milchprodukte und Eier verzichtet. Viele Produkte in Supermärkten sind daher mit „posno“ gekennzeichnet. „Post“ bedeutet Fastenzeit. Bei diesen Lebensmitteln kann man sicher sein, dass sie weder Fleisch, noch Milchprodukte und auch keine Eier enthalten. Abgesehen davon hat der Balkan in veganen Kreisen einen eher schlechten Ruf. Angeblich bekommt man kaum etwas zu essen, da es hier außer in der deklarierten Fastenzeit wenig Verständnis für eine ganzjährige vegane Lebensweise gäbe. Es würden ausschließlich Beilagen und einfallslos zerkochtes Gemüse serviert. Selbst wenn dieses Vorurteil begründete Wurzeln gehabt haben mag, in den letzten Jahren ist Bewegung in die serbischen Küchen und Gaststätten gekommen.
Abgesehen davon, dass man auf der weltweiten Veggie-Community www.HappyCow.net für Belgrad mittlerweile 36 und für Novi Sad immerhin 9 Lokaltips findet, gibt es in der Geschichte des Landes und in seiner Gegenwart Persönlichkeiten, die diese Idee verkörpern und viele damit inspirieren. So hat sich beispielsweise Nikola Tesla, das Universal-Genie, auf das Serbien ganz besonders stolz ist, vegetarisch ernährt. Er betonte bereits vor hundert Jahren die Grausamkeit der Aufzucht von Tieren zur Nahrungsgewinnung und die essentielle Notwendigkeit der Beseitigung dieses Umstandes beim Voranschreiten des Menschen hin zu einer bewussteren, spirituelleren und friedlicheren Lebensweise. Auch der serbische Tennisspieler Novak Đoković, der 223 Wochen lang Nummer eins der Weltrangliste war und diese Position vier Saisonen hindurch verteidigte, lebt großteils vegan. Nicht zuletzt darum haben wir vergangenen August die beiden größten Städte Serbiens besucht, um das Vorurteil, als Veggie in Serbien verhungern zu müssen, zu widerlegen.
Nicht die Bohne in der weißen Stadt?
Gleich bei Ankunft in der „Weißen Stadt“, so die übersetze Bedeutung von Belgrad, stellen wir fest, dass hier zur frühen Morgenstunde Kaffee schwer zu bekommen ist. Coffee to go ist nicht üblich, viele Frühstücksrestaurants bieten keinen Kaffee vor zehn Uhr an, und als wir nach mehr als einer Stunde eine Bäckerei entdecken, die eine Kaffeemaschine hat, bemerken die Angestellten lakonisch, dass sie sich mit der Bedienung nicht auskennen. Die Maschine sei kaputt, oder müsse gewartet werden, jedenfalls sei die Kollegin, die sich damit auskenne heute nicht im Laden - ergo auch hier: kein Kaffee. Die erste, wenig aromatische Erkenntnis auf diesem Trip ist daher: In Serbien wird viel Kaffee getrunken, a b e r üblicherweise wird er zuhause zubereitet, denn man geht nicht außer Haus ohne vorher „jednu tursku kafu“ - einen türkischen Kaffee - getrunken zu haben.
Beim Durchstreifen der Stadt, die den shabby chic erfunden zu haben scheint, stößt man immer wieder auf Spuren der Nato-Bombardements im Jahr 1999. Der geschichtliche Einfluss österreichisch-ungarische Architektur ist nicht zu übersehen. Durch die Straßen rumpeln in Westeuropa ausrangierte Busse und Straßenbahnen. Im privaten Quartier angekommen, wird uns zu allererst türkischer Kaffee kredenzt, dann ziehen wir los. In der Nähe der Markuskirche am Tašmajdan-Park liegen zwei empfohlene Imbisse. Der erste geschmackliche Eindruck veganer Kost am Balkan ist ein einfaches Falafelpita mit Rotkraut und sauren Gurken in der Hummus-Bar. Die saftige Beilage, viel Petersilie in den Kichererbsenbällchen in warmem, weichen Pitabrot gibt es hier mit Mineralwasser um 2,10 €. Die zweiten Falafel zum Vergleich probieren wir gleich danach in der Shawarma Bar zwei Straßen weiter. Sie sind etwas weniger würzig und im Wrap schmeckt der cremige Hummus dazu noch besser. In Serbien wird mit Dinar bezahlt. Das verstärkt das Gefühl „weiter weg“ auf Urlaub zu sein. Wrap mit Cola kosten umgerechnet 2,60 €.
Mit dem Rad am Flussufer entlang
Ein Fahrrad auszuleihen ist in Belgrad relativ günstig. An öffentlichen Fahrradverleihständen wird ab 8€ pro Tag verlangt. Wir haben bei der privaten Unterkunft die Möglichkeit um 4 € pro Tag Räder zu leihen. Abgesehen davon, dass Radwege auch in der Hauptstadt eher die Ausnahme sind und die Straßen teilweise brüchig asphaltiert, lässt sich Belgrad sehr gut mit dem Fahrrad erkunden. Wir umfahren die gesamte Altstadt die Donau aufwärts vorbei an der Savemündung bis in das ehemalige Künstler- und Bohémeviertel Skardarlija. Die Strecke ist wunderschön und gesäumt von einladenden Lokalen und Restaurants auf Schiffen und an Land. Wir halten an der Cantina de Frida. Die Auswahl ist dort zwar nicht groß, aber man findet kleine Snacks, zum Beispiel Nachos mit veganen Tapas. Beim anschließenden Spaziergang fällt die beeindruckende Street Art der Stadt auf, darunter zahlreiche Graffitis, die für eine vegane Lebensweise eintreten. Stilisierte Kühe, Küken, Schweinchen und andere Tiere neben Sprüchen wie „My tits, my milk!“, „Ich bin kein Omelette“ und „Real hooligans don`t eat animals“. Am Abend fahren wir zum Aussichtsturm nach Zemun. Taxi fahren ist in Serbien verhältnismäßig günstig. Für die mehr als 20-minütige Strecke zu einer Anhöhe außerhalb der Stadt verlangt der Taxifahrer sieben Euro. Er gibt uns seine Nummer mit dem Versprechen uns auch gerne wieder abzuholen. Wir trinken ein großes Jelen (helles Pils) um 1,20 € und genießen den atemberaubenden Ausblick auf die nächtliche Stadt. Hier trinkt man gerne ein zweites Bier und als der Nachtwind kühler wird, rufen wir „unseren“ Taxifahrer an. Er steht eine Viertelstunde später am vereinbarten Treffpunkt, begrüßt uns freudig und bringt uns nach Hause.
Versteckte Oasen für Genießer
Unser absolutes Lieblingslokal wird die Radost Fina Kuhinjica (sinngemäß übersetzt „fröhliche, kleine Küche“), das versteckt in einem Altbau neben einer befahrenen Straße in einer ehemaligen Wohnung liegt. Der Gastgarten ist nicht angeschrieben, man muss dunkle Treppen in den Hof hinuntersteigen und kommt in einen wunderschönen kleinen Garten, von dem man von außen nie erwartet hätte, dass er dort existiert. Die Kuhinjica bietet viele vegane Speisen von Mezze- oder Hummus-Platten, Gemüsesuppen, veganen Burgern in verschiedenen Varianten, bis hin zu Ramen oder dem Radost-Salat mit Zucchini-Spagetti, Cherry-Tomaten und saisonalem Salat mit hausgemachtem veganen Mandelkäse. Auch vegane Desserts und Fruchtshakes hat diese Oase zu bieten. Wir entscheiden uns jeweils für die Shiitake-Pilze & Buchweizen Burger mit Hummus und Salat, den Rote Beete- & rote Kidneybohnen-Burger mit Paprika-Tofu und sauerem Gürkchen, dazu hausgemachten Mandelkäse (zusammen 7,20 €) und das vegane Ramen mit Reisnudeln, gegrilltem Gemüse, Shiitake-Pilzen und mariniertem Tofu (5,70 €). Beide Burger waren auf ihre Weise geschmacklich so ausgewogen, dass schwer zu entscheiden ist, welcher besser war.
Zu Abend essen wir im gemütlichen Gnjezdo („Nest“). Es ist kein veganes Lokal, aber es gibt einige vegan gekennzeichnete Speisen, wie zum Beispiel Couscous mit Rosinen und Mandeln oder Hirsebrei mit Mandeln und Cranberries, Suppen, Zucchini gefüllt mit Rote Beete-Risotto oder einen großen Salat mit Hafer-Toast und Hummus. Wir teilen uns eine „Green potage“ mit Chiasamen und Mandeln (2,90 €) und den großen veganen Salat mit Toast und hausgemachtem Hummus (6,30 €). Beides ist sehr liebevoll zubereitet und lecker, die Suppe eine ausgezeichnete Wahl und der Salat voller frischem Gemüse mit genau der richtigen Portion Hummus dazu. Dazu wird erstklassiger Rosé gereicht.
Danach gehen wir in den sogenannten Jazz Bašta („Jazz Garten“) nebenan, in dem es jeden Abend Live-Musik gibt. Die Cocktails werden mit frischen Kräutern aus dem Garten zubereitet, während die Live-Band sich in der Dämmerung warmspielt. Die beiden Lokale Gnjezdo und Jazz Bašta liegen unmittelbar nebeneinander und bieten sich perfekt dafür an Abendessen zu gehen bis die Band beginnt und dann den Abend bei Livemusik und erfrischenden Cocktails (3 €) ausklingen zu lassen.
Am nächsten Tag entdecken wir das Jazza-Yoga. Dort probieren wir ein „Tantra“-Sandwich mit Melanzani, Sellerie, Krautsalat, Sonnenblumenkernen, Sesam, Hummus, Basilikum und Olivenöl, (1,30 €) das leider besser klingt, als es schmeckt. Das Brot ist sehr trocken und der Geschmack des Belags kommt nicht wirklich zur Geltung. Es ist zwar sehr günstig und voller gesunder Zutaten, aber zufrieden macht es nicht. Vielleicht wäre eine Suppe oder ein Salat die bessere Wahl gewesen.
Fernost ist ganz woanders
Ein authentisches asiatisches Restaurant in Serbien zu finden ist noch recht schwierig. Wir landen nach langem Spazieren durch die Stadt im Marukoshi, weil wir gehört haben, dass sie die authentischste asiatische Küche in der Stadt anbieten. Das Angebot ist sehr groß und klingt vielversprechend, überzeugt aber letztendlich nicht. Wir entscheiden uns für eine Miso-Suppe zur Vorspeise (1,70 €), das „Korokkekare“, vier Kroketten mit einem milden „japanischen“ Curry, Frühlingszwiebeln und Reis (5,90 €) und für überbackene Tofu-Gemüse-Sticks mit Reis, Salat und (was wir vorher nicht wussten) Sauce Tartar, was etwas teurer war und sie jetzt aus dem Menü genommen haben. Alle Speisen sind sehr fettig. Die Miso-Suppe schmeckt nicht schlecht, aber nicht wie Miso-Suppe schmecken soll. Der hausgemachte Eistee mit Apfel und Zimt dagegen ist sehr gut und wird nachbestellt. So viel sich am Balkan auch gerade tut, der ferne Osten ist hier wirklich noch weit weg. Darum reisen wir am nächsten Tag gegen Nordwesten, wenn auch nur ein Stück. Eine zweieinhalb Stunden dauernde Busfahrt bringt uns ins Herz der autonomen Region Vojvodina, nach Novi Sad.
Da wir eine Wohnung mit großer Küche im Zentrum der Stadt gemietet haben, kochen wir selbst. Viele traditionelle serbische Gerichte können vegan zubereiten werden. Pasulj (Bohnensuppe) lässt sich leicht in ein veganes Gericht verwandeln, genauso wie Burek oder Pita, die man statt mit Fleisch oder Käse auch mit Kartoffeln, Pilzen oder Äpfeln füllen kann. Im Supermarkt, in Bäckereien und auf den vielen frischen Märkten findet man reichlich natürliche vegane Lebensmittel. Wir frühstücken Bananen, Datteln („urma“ oder „datulja“), Äpfel („jabuke“), Mandeln („badem“), leckere Fruchtsäfte, Hummus oder Melanzani-Aufstrich („patlidzan“) auf gutem Schwarzbrot und leckere Fruchtsäfte.
Am zweiten Tag gehen wir ins Ananda Mittagessen. Sie haben ein wöchentlich wechselndes veganes Menü, das diesentags einen Falafel-Teller, eine „Pakore Porcija“ mit überbackenem Gemüse, gemischtem Krautsalat, Erdnussaufstrich und Brot, den „Vegan Harmoni“ mit Salat, Gebackenem Tofu, Zuckermais und Karotten, veganem Käseaufstrich und Limonade und die „Vitamaminada Salata“ umfasst. Wir entscheiden uns für die „Pakore Porcija und den „Vegan Harmoni“ (beides je 2,50 €) und sind begeistert. Beide Portionen sind riesig, schmecken gut und sind sehr sättigend.
Sandstrand an der Donau
Der nächste Tag wird am „Štrand“ verbracht. So nennen die Menschen in Novi Sad liebevoll den als Freizeitpark gestalteten Uferabschnitt der Donau, an welchem sich an heißen Tagen die halbe Stadt trifft, schwimmt, in Cafés plaudert, Beachvolleyball spielt, im Sand liegt und sich sonnt oder einfach in der Wiese im Schatten liegt und Karten spielt. Es gibt Cafés, Sonnenliegen am gepflegten Sandstrand und Essensstände, die gekochten Mais anbieten. Wir bleiben bis zum Abend, chillen, baden in der Donau, genießen Weintrauben und Nüsse und trinken Jelen. Apropos Trauben und Nüsse: Wenn man sich diese nicht am Markt für wenige Cent frisch besorgen kann, gibt es vielerorts Zdrava Hrana (bedeutet „Gesunde Nahrung“) Läden. Diese sind uns schon in Belgrad aufgefallen, und hier bekommt man gesunde, ausschließlich vegane Lebensmittel, wie Obst, Nüsse, verschiedene Müslisorten, Goji-Beeren, Chiasamen, pflanzliche Milch usw.
Am letzten Tag vor der Abfahrt gibt es Pasta. Direkt in der „Kärntner-Straße“ Novi Sads gegenüber unserer Wohnung liegt das winzige Agi Pasta Away. Hier werden drei vegane, frisch zubereitete Pastaoptionen angeboten. Die pikante Pasta Arrabiatta klingt am verlockendsten (1,90 €) und schmeckt überraschend italienisch. Auf der Heimfahrt vertreiben wir uns bei Stadt-Land-Fluss die Wartezeit an der Grenze (fünfeinhalb Stunden bei der Einreise in die EU) und ziehen Resümee: Vegane Čevapčići haben wir zwar keine gefunden, aber ein ebenso oft unterschätztes, wie beeindruckendes Land am Balkan, das sich langsam vom Trauma des Krieges erholt. Serbien präsentiert sich zugleich heimatbewusst und weltoffen. Dabei entwickelt es sich zu einer charmanten und sehr preiswerten Urlaubsdestination, in der es mittlerweile zahlreiche vegane Alternativen in malerischen Altstadtbezirken und in urbanen Vierteln zu entdecken gibt. Wir kommen bestimmt wieder und - wer weiß - vielleicht gibt es sie dann schon, die veganen Čevapčići. Also Mahlzeit inzwischen - Prijatno!
Alle Fotos: Josef Ladenhauf (c) 2017