Das erste vegane Hotel Italiens: Die Eigentümerin und Betreiberin Valeria Caldarelli im Interview

Das erste vegane Hotel Italiens: Die Eigentümerin und Betreiberin Valeria Caldarelli im Interview

23.08.2023

2016 eröffnete das erste rein vegane Hotel Italiens. Genauer genommen liegt das Hotel La Vimea in Naturns, mitten im wunderschönen Südtirol. Obwohl das Konzept in der Region anfangs polarisierte, zählt La Vimea heute zu einem festen Bestandteil Südtirols. Auch weit über Italien hinaus nimmt das Hotel eine Vorreiter:innenrolle ein – das vegane Angebot in Hotels wächst stetig, rein vegane Hotels sind allerdings selten zu finden. Wir haben der Eigentümerin und Betreiberin Valeria Caldarelli einige Fragen gestellt.

Außenansicht La Vimea

Erzählt doch einmal ein wenig über euch. Wer steht hinter La Vimea und wie kam es zu der Idee, ein Hotel zu eröffnen?
Wir sind eine alteingesessene Hotelierfamilie aus Südtirol, die Hotellerie über mehrere Generationen traditionell betrieben hat. Aufgrund von Veränderungen, welche im Leben der einzelnen Familienmitglieder stattgefunden und zu einem neuen Bewusstsein geführt haben, entstand aus dem traditionellem Hotel „SUNNWIES“ im Jahr 2016 das Adults-Only-Hotel La Vimea, das erste zu 100 % vegane Hotel Italiens. Dies geschah im Rahmen eines umfangreichen Umbaus. Der Grund dafür war in erster Linie die Suche nach Stimmigkeit zwischen gelebten Prinzipen und täglicher Tätigkeit und das Bedürfnis, ein Projekt für eine bessere Welt ins Leben zu rufen. Die treibende Kraft war damals meine Tochter Franziska, die seit ihrem dritten Lebensjahr vegan ist. Ich habe sie bei dieser Idee unterstützt, da ich gespürt habe, dass ein solches Projekt eine spannende Gelegenheit sein könnte, um zukunftsweisende Veränderungen zu realisieren. Seit vier Jahren kümmere ich mich persönlich um La Vimea – ich lebe seit 18 Jahren vegan. Inzwischen betreibt meine Tochter Franziska den wunderbaren Betrieb Agrivilla i pini in der Toskana und meine zwei älteren Söhne Alex und Max das Paradiso Pure.Living, ein veganes/vegetarisches Art-Hotel auf der berühmten Seiseralm. Als Familie haben wir in der Tat viel bewegt!

Kulinarik, La Vimea

Das Hotel gilt als erstes veganes Hotel Italiens. Gab es etwaige Bedenken zum rein pflanzlichen Konzept?
Es ist klar, dass wir konkrete Bedenken hatten: Es war uns bewusst, dass es ein Risikofaktor ist, von einer „sicheren Situation“ zu einer unsicheren zu springen, aber der Wille war stärker. Wir wussten genau, dass wir in der ersten Phase den Großteil der Stammgäst:innen verlieren würden. Von den alten Gäst:innen kam in der Tat kein:e einzige:r zurück. Wir mussten das akzeptieren, auch wenn es nicht einfach war. Heute hat La Vimea ein neues, jüngeres, interessantes, enthusiastisches, bewusstes und wertschätzendes Publikum, wofür ich täglich unendlich dankbar bin.

Was waren die Reibungspunkte und wie kam das Hotel bzw. das vegane Konzept an? Hat sich seit der Eröffnung in dieser Hinsicht etwas verändert?
Reibungspunkte gab es genügend, auch Kritik von vielen Seiten. Die „Stammgäst:innen“ waren irritiert, weil sie sich „jetzt nach vielen Jahren ein neues Hotel suchen müssen“, die veganen Familien waren irritiert, weil „Hunde, aber keine Kinder akzeptiert werden“, die Nachbar:innen haben das neue Konzept als eine „Schnapsidee“ betrachtet, die früheren Lieferant:innen regten sich auf, weil wir auf 100 % biologisch und vegan umgestiegen sind und nicht mehr bei ihnen gekauft haben. Sogar auf der Baustelle gab es Probleme, weil wir auf umweltfreundliche Lösungen geachtet haben, die meist nicht einfach umzusetzen waren. Damals war alles eine große Herausforderung, heute ist es besser, weil das Bewusstsein in der Bevölkerung zugenommen hat und die Nachfrage nach veganen Produkten ernster genommen wird. Ich würde sagen, die Situation hat sich gebessert, es ist aber noch viel Luft nach oben, in meinen Augen viel mehr, als die meisten glauben.

Schwimmbereich La Vimea

In der „veganen Welt“ nehmt ihr eine Vorreiter:innenrolle ein. Wie sieht es in Südtirol aus? Wird das Hotel akzeptiert oder inspiriert es sogar andere Betriebe dazu, ein ähnliches Konzept zu verfolgen?
In Südtirol sieht es mit dem veganen Konzept nicht so gut aus. Die meisten Bäuer:innen, Tierzüchter:innen und Jäger:innen, die einen bedeutenden und mächtigen Teil der Bevölkerung ausmachen, fühlen sich durch Initiativen wie unsere bedroht und sind meist sehr kritisch; andere hängen so sehr an der Tradition, dass es ihnen gar nicht gelingt, ihren Horizont zu erweitern. Für mich ist es auch verständlich, wenn die Überzeugung von Generationen und zum Teil sogar die tägliche Arbeitstätigkeit in Frage gestellt wird. Dann gibt es aber auch tolle Biobäuer:innen, die in Südtirol wunderbare Arbeit leisten und voll auf unserer Seite stehen. Die Südtiroler Bevölkerung ist insgesamt etwas umweltbewusster als in vielen anderen Regionen Italiens und versucht auch, sich „gesund“ zu ernähren, müsste aber noch die Verbindungen zwischen Ernährung und Gewalt gegenüber Tieren wahrnehmen. Vegan ist noch ein kompliziertes Thema, wird aber heute mit etwas mehr Interesse und Toleranz betrachtet und nicht nur kritisiert. Vor allem die Jugend, selbst in Südtirol, hat tolle Initiativen auf die Füße gestellt, zum Beispiel das erste vegane Festival in Meran und zahlreiche informative vegane Podcasts.

Habt ihr viele Gäst:innen im Hotel, die sich omnivor ernähren, oder kommen eher vegan lebende Menschen zu Besuch? Was sagen die „nicht veganen“ Gäst:innen zum Hotel?
Mit sehr viel Freude und Stolz darf ich sagen, dass alle La-Vimea-Gäst:innen das Hotel und auch das Restaurant äußerst zufrieden verlassen. Wir haben internationales Publikum, davon mehr als 80 % vegan, 10 % Vegetarier:innen und 10 % Allesesser:innen, die meist einen veganen oder vegetarischen Bezug haben (Partner:in, Familienmitglied, Interesse aus gesundheitlichen, ethischen oder ökologischen Gründen). Neugierige Allesesser:innen kommen meist nur als externe Gäst:innen ins Restaurant, möchten aber selten riskieren, einen zu 100 % veganen Urlaub zu verbringen. Auch im Restaurant ist das Feedback immer sehr positiv, wohlbemerkt sowohl von Veganen als auch von nicht Veganen. Wir haben nur in den letzten vier Monaten knapp vierzig ausgezeichnete Gäst:innenbewertungen erhalten.

Kulinarik, La Vimea

Was ist euch wichtig, wenn es ums Bewirten von Gäst:innen geht?
Wenn es um das Bewirten geht, ist es uns wichtig, dass Gäst:innen verstehen, dass wir die Philosophie alle selbst leben und dass wir wirklich an ihrem Wohlbefinden interessiert sind. La Vimea ist nicht nur ein Hotel, sondern ein Kraftort der Ruhe und Erholung, ein wertvoller Treffpunkt für Gleichgesinnte und ein inspirierendes Projekt für offene Menschen mit zukunftsgerichteten Gedanken. Wir möchten den höchsten Wohlfühlfaktor und Zufriedenheitsgrad der Gäst:innen mit dem kleinsten Footprint in unserer Umwelt sowie mit vollem Respekt für jedes Lebewesen und für die Natur erreichen.

Wie kann man sich einen Aufenthalt im La Vimea vorstellen? Gebt uns gerne einen kleinen Überblick über das Angebot!
Eine Woche im La Vimea gibt die Möglichkeit, mit erfahrenen Yogalehrerinnen tägliche Meditationen und Yogaeinheiten zu praktizieren, eine sensorielle geführte Waldbaderfahrung mitzumachen oder an einer Klangmeditation teilzunehmen.

Yoga

Nach einem großen Frühstück (über 40 verschiedene vegane Köstlichkeiten, alles hausgemacht) kann man die Berge und die schöne Umgebung erkunden (zahlreiche Wandermöglichkeiten), dann unser Spa genießen, den Badeteich mit seinem wunderbaren Wasser erleben und sich auf das Beste freuen: ein ganz spezielles Abendessen, fünf Gänge in höchster veganer Bio-Qualität, eine tägliche wahre Überraschung.
Zum Frühstück, Mittagessen und besonders zum Abendessen freuen wir uns sehr, externe Gäst:innen in unserem Restaurant willkommen zu heißen. Im Haus sind alle Speisen und Getränke (auch Spirituosen) biologisch oder biodynamisch. Wir haben eine Reihe von Signature-Cocktails und Mocktails entwickelt, die eine Heilpflanze aus dem hauseigenen Garten als Basis haben: Frauenmantel, Salbei, Artemisia, Minze, Thymian, Melisse usw. Der Garten ist so angelegt, dass alle Kräuter und Blüten in der Küche verwendet werden können, und der Chefkoch bedient sich täglich dort, um seinen Speisen einen besonderen Geschmack zu verleihen.

Cocktails La Vimea

Sterneküche oder nahrhafte Kost: Was ist euch in der veganen Küche wichtig?
La Vimea möchte beweisen, dass gesunde, kreative, gehobene vegane Cuisine existiert, dass sie überraschend vielfältig, schmackhaft und auch balanciert und gleichzeitig nachhaltig und frei von Leid und Gewalt sein kann. Noch etwas ist uns wichtig: Wir lieben natürliches Kochen, daher werden alle Produkte in der Küche verarbeitet (keine Konservierungsstoffe, kein weißer Zucker, keine tiefgefrorenen oder Fertigprodukte). Diese Kombination ist für uns zum Glück ebenso wie das Zero-Waste-Ziel am Abend ein erreichtes Ziel in der Küche: Die Gäst:innen bekommen täglich ein fixes Menü, in dem die gesamte kreative Energie unserer Küche steckt und sich entfaltet. Wir haben vierzehn verschiedene Menüs, die sich abwechseln und auch während der Saison öfter verändert werden. Bei uns gilt: Sich hinsetzen, vertrauen und sich überraschen lassen.

Kulinarik, La Vimea

Wie steht ihr zum Thema Nachhaltigkeit? Kann man das La Vimea z. B. auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen?
Nachhaltigkeit begleitet unsere kleinsten täglichen Entscheidungen. Wir sind immer auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen für jedes Problem und versuchen, unsere Gäst:innen auf diskrete Art und Weise zu involvieren. La Vimea ist problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, trotz grüner Oase befinden wir uns mitten im Dorf. Alle Gäst:innen, die öffentlich anreisen, werden von uns auf Wunsch vom Bahnhof oder von der Bushaltestelle kostenlos abgeholt.

Wie viele Zimmer habt ihr und könnt ihr uns einen kleinen Überblick über die Preise geben?
Wir haben 36 Doppelzimmer und drei große Suiten mit zwei Schlafzimmern. Der Preis liegt je nach Saison zwischen 190 € und 230 € pro Nacht und Person (Alleinreisende werden mit einem Zuschlag im Doppelzimmer untergebracht), inklusive Frühstück, Gourmetabendessen sowie Benutzung von Parkanlage, Wellnessanlage mit Saunen, Hallenbad, Hot-Stone-Lounge, Forest-Sauna, Schwimmteich und Fitnessraum. Die Yoga- und Meditationseinheiten sowie das Waldbaden (Wochenprogramm) sind für unsere Gäst:innen kostenlos und Teil des Angebots. Es sind auch Kurzaufenthalte ab zwei Nächten möglich. La Vimea ist ein Vier-Sterne-Haus.

Zimmer im La Vimea

Wie sieht es mit der Zukunft des Hotels aus? Gibt es Pläne zu expandieren?
Dieses Projekt erfordert seit Jahren viel Mut, Geduld und Überzeugung. Es ist wichtig, sich neuen internationalen Märkten zu öffnen, aber dafür werden viel Zeit und viel Einsatz benötigt. Träume für die Zukunft? Klar, für La Vimea habe ich viele! Heute sind sie noch Träume, sie sollten aber zum richtigen Zeitpunkt konkrete Pläne werden: Eine separate vegane Konditorei (in der externe Gäst:innen hochwertige vegane Patisserie bestellen und mitnehmen können), eine neue Küche mit der Möglichkeit, Kochkurse zu veranstalten und auch Küchenpersonal auszubilden, ein eigenes Kochbuch oder ein nachhaltiges und optimiertes Konzept für die gesamte Energieversorgung im Haus. Dies würde es uns ermöglichen, die Saison auszudehnen und gleichzeitig die Verantwortung einer Ausbildungsfunktion zu übernehmen. Ich bin überzeugt, dass dies auch auf lokaler Ebene eine Anregung für positive Veränderungen sein könnte.

Erholungsraum

Die letzte Frage überlasse ich euch. Wollt ihr noch etwas anmerken?
Mein letzter Gedanke gilt der Konkurrenz: Wir würden uns sehr freuen, wenn wir jemanden dazu inspirieren können, unserem Beispiel zu folgen. Es wäre schön, wenn in jedem Hotel wenigstens eine seriöse und wertvolle vegane Alternative angeboten und wenn das Fleisch-/Fischangebot wesentlich reduziert würde. Die Zeit drängt und Veränderung ist wirklich angesagt – den Menschen, den Tieren und unserer Erde zuliebe. Für die Erreichung eines großen Ziels werden viele kleine Schritte benötigt!

Das La Vimea hat uns auch ein PDF mit regionalen Wanderrouten rund um das Hotel zur Verfügung gestellt.