Sylwia Spurek - EU-Politikerin im Kampf für Tierrechte

Sylwia Spurek - EU-Politikerin im Kampf für Tierrechte

12.04.2023

Sylwia Spurek ist Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Grünen / Freien Europäischen Allianz an. Die promovierte Juristin besetzte wissenschaftliche und politische Stellen auf polnischer und europäischer Ebene. 2019 zog sie ins Europäische Parlament ein und tritt dort lautstark für die Rechte von Frauen, der LGBTIQA+ Community und Tieren ein.

Feminismus, Veganismus, Demokratie" - Besucht man deine Website, springen diese Konzepte ins Auge. Welche Bedeutung haben Sie für dich?

Feminismus basiert auf der Annahme, dass jede:r das Recht hat, die eigenen Ziele und Träume zu verfolgen, ungeachtet des Geschlechts. Wir können nicht von wahrer Demokratie sprechen, wenn die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, von Entscheidungsfindungen ausgeschlossen wird. Wenn sie kein Mitspracherecht haben, was mit ihrem eigenen Körper passiert, wenn sie sich nicht sicher im eigenen Zuhause fühlen können. Das ist Ungerechtigkeit. Und wir können auch nicht ohne Veganismus von Feminismus sprechen. Veganer:innen machen darauf aufmerksam, dass Menschen nichtmenschliche Tiere ausbeuten und töten. Auch das ist Ungerechtigkeit. Wenn wir gegen Diskriminierung und Gewalt sind, sollten wir sie in jeder Form und jedem Lebewesen gegenüber ablehnen.

Die Ausbeutung von Tieren, vor allem von sogenannten Nutztieren, ist Alltag in allen Staaten der EU. Wie setzt du dich als vegane Politikerin für Tiere ein?

Im Europäischen Parlament gibt es keine Tierrechtsdebatte, sondern nur eine Tierschutzdebatte. In dieser geht es darum, wie man weniger verletzen oder human töten kann. Aber kann man jemanden human töten, der:die leben will? Zuallererst müssen wir die Grenzen der Debatte erweitern. Tierrechtsthemen sind für meine Kolleg:innen und die Medien schockierend und umstritten, da die Debatte von der Tierhaltungslobby eingefroren wird. Als Mitglied des Europäischen Parlaments stimme ich immer für Gesetzesänderungen, die auf eine Verbesserung des Tierwohls abzielen.

Wir müssen die landwirtschaftliche Tierhaltung erschweren und weniger profitabel machen – und Tierschutzgesetze tun das. Aber danach müssen wir sie auch ganz verbieten. Wir können nicht so tun, als ob die Abschaffung von Käfigen oder die Vergrößerung von Ausläufen das ultimative Ziel wären. Das Ziel ist das Ende von Tierleid auf allen Ebenen, weltweit. Ich habe zwei „Fives“ vorgeschlagen – Vorschläge, die aus fünf Elementen bestehen: „5 für den pflanzlichen Sektor“ und „Eine neue 5 für Tiere”. Der erste Vorschlag sieht ein Werbeverbot für Fleisch, Milch und Eier vor sowie ein Ende der Fördergelder für diese Produkte und eine Einführung von Fördergeldern für Veganismus. Auf Fleisch-, Milch- und Ei-Alternativen soll es keine Mehrwertsteuer mehr geben. Klima und Tierrechte sollen ab dem Kindergarten unterrichtet werden. Der zweite Vorschlag aus dem Jahr 2021 spricht sich für ein Verbot der Jagd und Fischerei sowie der Nutzung von Tieren in Zirkussen und Delphinarien bis 2023 aus, für ein Verbot von neuen Tierhaltungsbetrieben bis 2025, ein Verbot der Nutzung von Tieren in der Forschung bis 2030, ein Verbot der Tierzucht bis 2040 sowie die Einführung von Tierschutz in Verfassungen so bald wie möglich. Ich versuche, den öffentlichen Diskurs zu erweitern, indem ich konkrete Lösungen und Fristen vorschlage.

Ich habe auch ein parlamentarisches Programm namens „Wolni od Ferm“ (dt. „Frei von Tierbetrieben“) veröffentlicht. Enthalten ist ein White Paper namens  „Smród, krew i łzy. Włącz myślenie, bądź zmianą” (dt. „Gestank, Blut und Tränen. Schalte das Denken ein, sei die Veränderung“). Darin geht es um die tierliche Landwirtschaft und ihre Konsequenzen für Umwelt, Klima, Biodiversität, menschliche Gesundheit und Tierrechte.

In den letzten Jahren wurden verstärkt Europäische Bürger:inneninitiativen genutzt, um etwas gegen Massentierhaltung („End the Cage Age“) zu kämpfen. Was denkst du über die Initiativen und ihr Potential für einen Wandel der Mensch-Tier-Beziehungen?

Diese Initiativen waren in den letzten Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte für Wandel. In ganz Europa tun Aktivist:innen das, was Politiker:innen tun sollten. Politische Parteien haben Angst, über Tierrechte zu sprechen. Es gibt sogar Politiker:innen, die die Existenz von Tierrechten in Frage stellen. Aber Millionen von Unterschriften, Demonstrationen und Petitionen zeigen Politiker:innen, dass die Menschen einen Wandel wollen. Sie werden ihre Einstellung zu Tierrechten ändern müssen – oder keine politische Zukunft haben. Betonen muss ich allerdings, dass es bei diesen Initiativen nur um Tierschutz geht. Auch hier muss das ultimative Ziel sein, Tierleid in all seinen Formen zu beenden.

Vor allem das Pelzverbot war in letzter Zeit in Polen ein sehr lebhaftes Thema. Die Europäische Bürger:inneninitiative hat es geschafft, über 1,4 Millionen Unterschriften zu sammeln. In Polen beteiligten sich das Green REV Institute, die VIVA Foundation und die Open Cages. Das ist von monumentaler Größe und Reichweite. Die Europäische Kommission wird Ende 2023 die Tierschutzgesetzgebung überprüfen und das alles dank der kollektiven Anstrengungen von Graswurzelbewegungen, NGOs und Aktivist:innen.

Politiker:innen werden ihre Einstellung zu Tierrechten ändern müssen oder sie werden keine politische Zukunft haben. Aber, und das muss ich betonen, bei diesen Initiativen geht es nur um Tierschutz. Auch hier ist das ultimative Ziel ein Ende von Tierleid in all seinen Formen und nicht nur Wege zu finden, es zu mildern und es damit zu belassen.

Mit dem European Green Deal will die EU den drohenden Klimakollaps verhindern und Europa bis 2050 zum klimaneutralen Kontinent machen. Wie gehst du beim Thema Klima und Umwelt vor?

Leider konzentriert sich der European Green Deal auf den Transport- und Energiesektor und zeigt damit die Stärke von Big Meat und Big Milk. Die Europäische Kommission sollte stattdessen auf Wissenschaftler:innen hören. Aber Politiker:innen des gesamten politischen Spektrums neigen dazu, den Status quo zu erhalten. Ich nenne sie die „Fleischpartei“, weil sie die Tierhaltung durch Nachlässigkeit und Taten unterstützen. Die EU braucht eine echte grüne Revolution, einen echten Green Deal, keine Politik der Kontinuität und kleinen Schritte. Wir brauchen eine Politik, die in Partnerschaft mit Wissenschaftler:innen, Klima- und Tierrechtsaktivist:innen entwickelt wird, nicht mit der Fleischlobby. Wenn wir Klima-, Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftsfragen betrachten, gibt es kein größeres politisches Problem als die Tierhaltung. Die sogenannte Nutztierhaltung erzeugt laut Wissenschaftler:innen mehr Treibhausgase als der gesamte Verkehr. In Europa ist der Sektor außerdem für 78 Prozent des Biodiversitätsverlusts, 80 Prozent der Bodenversauerung und Luftverschmutzung sowie für 73 Prozent der Wasserverschmutzung verantwortlich. Er trägt zu Antibiotikaresistenzen und zum Rückgang der menschlichen Gesundheit und Lebenserwartung bei. Meine Tätigkeiten konzentrieren sich darauf, Bewusstsein für diese Fakten zu schaffen. Wenn Tierschutz nicht an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen appelliert, dann tun es möglicherweise Gesundheits- und Umweltargumente.

Die Farm-to-Fork-Strategie erkennt den Zusammenhang von Ernährung und Umwelt an, aber setzt keine konkreten Ziele zu Tierprodukten. Wie lautet deine Einschätzung?

Die Farm-to-Fork-Strategie ist eines der wichtigsten Elemente des European Green Deal, die einen echten Einfluss auf die Reform des europäischen Ernährungsmodells haben könnte und sollte. Leider zeigt die Art und Weise, wie sie formuliert wurde, dass die Agrarindustrie und die „Fleischpartei“ immer noch einen großen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess der EU haben. Die Kommission hat große Unstimmigkeiten und Mangel an Mut gezeigt. Einerseits hat sie den katastrophalen Einfluss der industriellen Landwirtschaft und der Überproduktion von Fleisch auf Umwelt, Klima und Gesundheit erkannt, andererseits hat sie versäumt, strategische Lösungen vorzusehen, um die Expansion industrieller Tierhaltung zu begrenzen oder kleine, ethische, lokale Betriebe angemessen zu unterstützen.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU steht immer wieder in Kritik. Vor allem die landwirtschaftlichen Direktzahlungen, die konventionelle, tierhaltende und große Betriebe fördern. Was sind deine Gedanken zur europäischen Landwirtschaftspolitik?

Ich habe 2021 gegen die neue GAP gestimmt, die de facto die alte Anti-Klima- und Anti-Tier-Politik ist. Die EU setzt damit eine Politik fort, ein Lebensmittelsystem gesetzlich zu bekräftigen, das ungesunde und unethische Lebensmittel produziert, enorme Treibhausgase generiert, Biodiversität zerstört und die Quelle des Leids für Milliarden von nichtmenschlichen Tieren ist. Die „neue“ GAP stellt auch eine Gefahr für die Implementierung des European Green Deal dar, indem sie im Widerspruch zu diesem steht, inklusive der Farm-to-Fork-Strategie. Während die Farm-to-Fork-Strategie eine Überprüfung der Tierschutzgesetzgebung vorsieht, hat die GAP es versäumt, diesbezüglich etwas aufzunehmen.

Eine Transformation des Ernährungssystems ist essentiell. Welche Instrumente stehen der EU zur Verfügung und welche empfindest du als besonders wichtig?

Als Erstes sind Subventionen zu nennen. Fleisch, Milch und Milchprodukte sind günstig, weil wir ihre Produktion subventionieren. Insgesamt werden 4,2 Milliarden Euro pro Jahr von Mitgliedstaaten als sogenannte freiwillige gekoppelte Unterstützung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik verwendet. Außerdem hat die EU zwischen 2016 und 2019 mehr als 138 Millionen Euro für Werbekampagnen für Tierprodukte bereitgestellt. Wie bei der Finanzierung von Energie und Transport kann die EU nicht etwas unterstützen, das die Klimakrise verschärft und sich negativ auf das Leben und die Gesundheit von Menschen auswirkt. Wenn die Herstellung von unethischen und unnachhaltigen Produkten wegen fehlender zusätzlicher Gelder teurer wird, werden ihre Preise steigen und die Nachfrage sinken. Gleichzeitig könnten diese Gelder in den pflanzenbasierten Sektor fließen, um grüne, kreative Unternehmen und ihre Produkte zu unterstützen. Eine weitere einfache Lösung wäre die Besteuerung tierischer Produkte. Die Verbrauchssteuer von Zigaretten, starkem Alkohol und Benzin wird als normal angesehen. Warum nicht auch für Tierprodukte, deren Produktion und Konsumption ebenfalls schädlich ist? Die Farm-to-Fork-Strategie ermutigt Mitgliedsstaaten, gesunde, biologische Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien. Das ist aber nicht genug. Wir brauchen höhere Steuern auf Fleisch, Eier und Milchprodukte, damit es weniger Anreiz gibt, sie zu kaufen. Die EU sollte diese Idee fördern. Wir müssen das gesamte Ernährungssystem in ein ethisches, faires und nachhaltiges System verwandeln.

Der Kampf für Menschen- und Tierrechte ist ein harter. Wie verlierst du nicht den Mut? Was treibt dich an?

Die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit von Menschen sowie deren Gewalt gegen Frauen und Tiere sind meine größte Antriebskraft. Das Wichtigste für mich ist, dass sich durch mein Handeln das Leben von Menschen und nichtmenschlichen Tieren zum Besseren wandelt.