Ernährung gegen Diabetes

Ernährung gegen Diabetes

21.06.2019
Verfasst von Dr. Robert Burger und Mag. Dr. Kurt Schmidinger

Diabetes mellitus, umgangssprachlich auch Diabetes, hat in den Industrieländern längst epidemische Ausmaße angenommen. Die Zahl der an Diabetes erkrankten Menschen ist zwischen 1980 und 2014 von 108 Millionen auf 422 Millionen förmlich explodiert [23]. Zentral bei Diabetes ist die Funktion des Hormons Insulin: Insulin dient dazu, Körperzellen anzuregen, Glucose aus dem Blut aufzunehmen und den nach einer Mahlzeit gestiegenen Blutzuckerspiegel wieder zu senken.

Bei Typ-1-Diabetes wird aufgrund einer Zerstörung der insulinbildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr erzeugt. Insulin muss daher in diesem Fall von außen zugeführt werden.

Typ-2-Diabetes ist die mit Abstand häufigste Form von Diabetes. Im Gegensatz zu Typ-1-Diabetes ist bei Typ 2 Insulin zwar meist ausreichend vorhanden, es kann aber an seinem Zielort, den Zellmembranen, nicht richtig wirken. Man spricht in dem Fall von Insulinresistenz, die zugleich Vorstufe von Typ-2-Diabetes ist. Solange die Bauchspeicheldrüse das Problem durch erhöhte Insulinproduktion noch ausgleichen kann, bleibt es bei dieser Vorstufe. Von Typ-2-Diabetes spricht man, wenn die Bauchspeicheldrüse diese Kompensation nicht mehr schafft, und die produzierte Insulinmenge nicht mehr reicht, um den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren.

Große Studien zeigen: Eine vegane Ernährung reduziert die Entstehung von Typ-2-Diabetes

Darüber herrscht in zahlreichen Studien Konsens: Eine vegetarische oder vegane Ernährung schützt vor der Entstehung von Typ-2-Diabetes.

Einige große Vergleichsstudien (sog. prospektive Kohortenstudien) zeigen ein reduziertes Auftreten von Diabetes-Erkrankungen bei vegetarischen und veganen Ernährungsformen. Diese Studien vergleichen über viele Jahre oder Jahrzehnte eine große Zahl (10.000 bis über 500.000) an Menschen und messen den Einfluss der Ernährung auf Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit. Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, sozialer Status, Sportverhalten, Alkoholkonsum oder Rauchen werden erfasst und statistisch herausgerechnet, sodass der Faktor Ernährung möglichst unverfälscht gemessen werden kann. Zu diesen großen Studien gehören die Adventist Health Study 2 mit 96.000 Personen, die EPIC-Study mit 521.000 Personen, die Nurses’ Health Study 1-3 mit 116.000 Krankenpflegerinnen und die Health Professionals Follow-Up Study mit über 50.000 Männern aus dem Gesundheitsbereich [1, 11]. Die Adventist Health Studies zeigten über einen Zeitraum von 17 Jahren betrachtet bei Personen, die mindestens einmal wöchentlich Fleisch verzehrten, eine um 74 % höhere Diabeteswahrscheinlichkeit als bei vegetarisch lebenden Menschen [12].

Auch kleinere, kontrollierte Studien belegen, dass vegan lebende Menschen weniger Insulinresistenzen aufweisen und dass deren insulinproduzierende Betazellen besser geschützt sind [14].

"Typ-2-Diabetes kann vermieden, gestoppt oder sogar rückgängig gemacht werden durch eine pflanzliche Ernährung - diese Erkenntnis reicht bis in die 1930er-Jahre zurück"

Fleisch und Milch

Studien weisen darauf hin, dass ein erhöhter Verzehr von rotem Fleisch und Vollmilchprodukten mit Insulinresistenz verbunden ist und damit eine negative Rolle bei Diabetes spielt, und dass die Vermeidung von Fleisch und Milch vorbeugend gegen Diabetes wirkt [26, 10]. Zu der Frage, ob Milch für die Entstehung von Diabetes Typ 2 eine Rolle spielt, gibt es Studien, die keinen Zusammenhang sehen. Dennoch gibt es Hinweise, dass ein Verzicht auf Kuhmilch das Auftreten von metabolischem Syndrom und Insulinresistenz reduzieren kann, und damit letztlich auch die Gefahr, an Diabetes Typ 2 zu erkranken, vor allem wenn man mit dem Verzicht auf Kuhmilch generell Überernährung vermeidet [2, 24, 25]. Auch die Verabreichung von Säuglingsnahrung auf Kuhmilchbasis vor dem 3. Lebensmonat oder die hohe Aufnahme von Kuhmilch im Kindesalter erhöht das Risiko, später an Diabetes zu erkranken, wogegen das Stillen ausschließlich mit Muttermilch schützt [3]. Eine Analyse von drei Studien zu Typ-2-Diabetes mit 4.033.322 Personenjahren (also Jahre, die die Studienteilnehmer zur Studie beitragen) – bereinigt um BMI, Alter und Lifestyle-Risikofaktoren – ergab, dass eine tägliche Zufuhr von 100 Gramm nicht verarbeitetem roten Fleisch das Risiko für Typ-2-Diabetes um 19 % und die Zufuhr von täglich 50 Gramm verarbeitetem roten Fleisch sogar um 51 % erhöht [1].

Diabetes – Zuckerkrankheit oder Fettkrankheit?

Diabetes wird im Volksmund „Zuckerkrankheit“ genannt. Dies ist insoweit berechtigt, als der Körper bei Diabetes mit dem Blutzucker nicht mehr fertig wird. Zucker, genauer Glucose, ist also ein Problem bei bestehendem Diabetes, weil er nicht mehr abgebaut werden kann. Aber löst Zucker auch Typ-2-Diabetes aus? Die Korrelation des Konsums von Fleisch und anderen Tierprodukten mit dem Auftreten von Typ-2-Diabetes würde das keineswegs erklären, weil diese Tierprodukte kaum Zucker enthalten, aber oft viel Fett, vor allem gesättigte Fettsäuren. Und tatsächlich gibt es starke Beweise, dass die Auslöser für Typ-2-Diabetes in gesättigten Fettsäuren zu suchen sind [13, 20], und es sich hier ursächlich viel mehr um eine Fettkrankheit handelt als um eine Zuckerkrankheit.

In den 1930er-Jahren wurde bereits etwas Bemerkenswertes festgestellt: Erhielt eine Gruppe junger, gesunder Menschen eine fettreiche Nahrung, so war der Abbau des Blutzuckers innerhalb von 2 Tagen gehemmt. Bei einer Vergleichsgruppe mit kohlenhydratreicher Ernährung war der Blutzuckergehalt nach 2 Tagen nur halb so hoch [4, 5]. Erst 70 Jahre später hat man diesen überraschenden Mechanismus immer besser verstanden, der wie folgt abläuft: Blutzucker braucht eine Einladung, um in unsere Zellen zu kommen. Und diese Einladung ist Insulin. Insulin ist der Schlüssel, der die Tür öffnet, damit Zucker aus unserem Blut in die (Muskel)zelle gelangt. Wenn sich Insulin an den Insulinrezeptor bindet, wird über eine Enzymreaktion der Eintritt von Glukose in die Zelle ermöglicht. Freie Fettsäuren unterbinden jedoch diesen Transport der Glucose [6] und können zu Insulinresistenz in den Muskelzellen führen [9]. In diesem Fall ist also der Schlüssel Insulin vorhanden, aber Fett hat das Schloss verklebt, die Glucose kann nicht in die Zellen gelangen und bleibt im Blut. Studien zeigen, dass der Glucoseabtransport nach fettreichem Essen bis zu zwei Stunden gehemmt ist [7, 8].

Gesättigtes Fett tötet Betazellen und behindert damit die Insulinproduktion

Ein weiterer Mechanismus, bei dem Fett (v.a. gesättigte Fettsäuren [13]) bei der Entstehung von Diabetes vom Typ-1 und Typ-2 wesentlich beteiligt ist, ist die Zerstörung von Betazellen in der Bauchspeicheldrüse [19]. Betazellen erzeugen dort Insulin und setzen es frei. Gesättigte Fettsäuren, die vor allem in Tierprodukten, jedoch viel weniger in pflanzlicher Nahrung vorhanden sind, tragen zur Zerstörung der Betazellen bei [20]. Da sich Betazellen ab dem Erwachsenenalter des Menschen kaum noch nachbilden, sind sie praktisch unwiederbringlich verloren [21]. Zusammengefasst beeinträchtigen gesättigte Fettsäuren die Insulinproduktion des Körpers, wohingegen eine Verringerung des Anteils an gesättigten Fettsäuren in der Nahrung zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität führt [22].

Kann vegane Ernährung bei bestehendem Typ-2-Diabetes zur Heilung beitragen?

Ob spezielle vegane Ernährungsformen Insulinresistenzen und Typ-2-Diabetes umkehren und heilen können, ist eine umstrittene These. Einige wissenschaftliche Publikationen zeigen jedoch sehr positive Ergebnisse.

Eine randomisierte kontrollierte klinische Studie im Jahr 2018 untersuchte übergewichtige Personen. Dabei zeigten sich bei der Gruppe, die sich pflanzlich ernährte, bereits nach 16 Wochen nicht nur deutlich reduzierte Messindikatoren für Insulinresistenz, sondern auch eine Gewichtsabnahme [15]. Ferner hat diese Studie aus 2018 gezeigt, dass eine fettreduzierte pflanzliche Ernährung nach ebenfalls 16 Wochen neben der Insulinsensitivität auch die Funktion der Betazellen signifikant verbessern konnte [16]. Diese Studien untersuchten Risikogruppen für Diabetes, die aber noch nicht erkrankt waren.

Aber auch bei bereits erkrankten Personen gab es bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes mit vegetarischer und speziell mit veganer Ernährung sehr positive Ergebnisse [17]. Das bestätigt auch eine 24-wöchige Studie mit 74 Personen mit Typ-2-Diabetes. Eine Gruppe mit kalorienreduzierter vegetarischer Ernährung wurde mit einer Gruppe mit konventioneller, bei Diabetes üblicher Diät verglichen. Die vegetarische Gruppe zeigte in Bezug auf Insulinsensitivität und Körpergewicht weit größere Verbesserungen [18].

Fazit

Es steht fest, dass eine pflanzliche Ernährung die Entstehung von Typ-2-Diabetes deutlich eindämmen kann. Zudem gibt es Hinweise, dass vegane Ernährungsformen, insbesondere die vollwertige Pflanzenkost, speziell bei bereits erkrankten Menschen deutliche Verbesserungen bringen können!

Referenzen:

[1] Pan, A., Sun Q., et al. (2011). "Red meat consumption and risk of type 2 diabetes: 3 cohorts of US adults and an updated meta-analysis " American Journal of Clinical Nutrition.October 2011(First published online August 10, 2011).

[2] Lawlor, D. A., Ebrahim S., et al. (2005). "Avoiding milk is associated with a reduced risk of insulin resistance and the metabolic syndrome: findings from the British Women's Heart and Health Study." Diabet Med.22(6): 808-811.

[3] Verge, C. F., Howard N.J., et al. (1994). "Environmental factors in childhood IDDM. A population-based, case-control study." Diabetes Care17(12): 1381-1389.

[4] Himsworth, H.P. Dietetic factors influencing the glucose tolerance and the activity of insulin; J Physiol. 1934 Mar 29; 81(1): 29–48. PMCID: PMC1394223; PMID: 16994524 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1394223/

[5] Himsworth, HP, Mashall, EM. The diet of diabetics prior to the onset of the disease. Author Affiliation: Med. Unit., Univ. Coll. Hosp., London. Journal article: Clinical Science 1935 Vol.2 pp.95-11

[6] Roden, M, Price, TB, et al. Mechanism of free fatty acid-induced insulin resistance in humans. J Clin Invest. 1996 Jun 15; 97(12): 2859–2865. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC507380/

[7] Roden M, Krssak M, Stingl H, Gruber S, Hofer A, Fürnsinn C, Moser E, Waldhäusl W. Rapid impairment of skeletal muscle glucose transport/phosphorylation by free fatty acids in humans.; Diabetes. 1999 Feb;48(2):358-64. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10334314

[8] Krssak M1, Falk Petersen K, Dresner A, DiPietro L, Vogel SM, Rothman DL, Roden M, Shulman GI. Intramyocellular lipid concentrations are correlated with insulin sensitivity in humans: a 1H NMR spectroscopy study Diabetologia. 1999 Jan; 42(1):113-6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10334314

[9] Kraegen EW, Cooney GJ. Free fatty acids and skeletal muscle insulin resistance. Curr Opin Lipidol. 2008 Jun;19(3):235-41. doi: 10.1097/01.mol.0000319118.44995.9a. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18460913

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[23] WHO Fact Sheet diabetes 30 October 2018 https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/diabetes

[24] Bodo C MelnikEmail author, Swen Malte John and Gerd Schmitz; Milk is not just food but most likely a genetic transfection system activating mTORC1 signaling for postnatal growth. Nutrition Journal 2013 12:103 https://nutritionj.biomedcentral.com/articles/10.1186/1475-2891-12-103

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[26] Papakonstantinou, E. et al. (2005), Food Group Consumption and Glycemic Control in People With and Without Type-2-Diabetes, The ATTICA study, in: Diabetes Care 28/2005. http://care.diabetesjournals.org/content/28/10/2539.long