Stille Wasser sind tief – Über das Leben und Sterben von Fischen

Stille Wasser sind tief – Über das Leben und Sterben von Fischen

01.02.2022

Fische erscheinen uns fern: Sie leben im Wasser, nicht an Land. Sie legen Eier, gebären ihre Kinder nicht. Sie wirken stumm, schreien nicht bei Schmerz. Dennoch sind sie uns sehr nah: Fische sind hochkomplexe Lebewesen, die über zahlreiche Emotionen und Intelligenz verfügen. Jährlich werden jedoch hunderte Milliarden (!) Fische auf grausame Weise getötet und die Meere dadurch beinahe leergefischt. Grund genug, gegen den Strom zu schwimmen und einen genauen Blick auf ihre Lebens- und Sterbensbedingungen zu werfen.

Vielfalt an Meeresbewohner:innen

Hinter dem Begriff Fisch verbergen sich nicht weniger als 34.700 Arten und somit mehr als alle Arten an Säugetieren, Vögeln, Amphibien und Reptilien der Erde zusammengenommen. Unterteilt werden sie in Knorpelfische (4 % der Fischarten), zu denen Haie, Rochen und Seekatzen zählen, sowie Knochenfische (96 % der Fischarten). Neben ihnen tummelt sich noch eine unglaubliche Vielfalt an aquatischen Lebewesen in den Gewässern des Planeten, wie Wale, Delfine und andere Meeressäuger sowie wirbellose Meerestiere, wie Muscheln, Schnecken und Krebse.

Ein Meer an toten Tieren

Fische sind heute die am stärksten ausgebeutete Tiergruppe: Laut Schätzungen werden jährlich bis zu 2.700 Milliarden Fische getötet. 2.700.000.000.000 Individuen pro Jahr. 7.400.000.000 Individuen pro Tag – was in etwa der globalen Bevölkerung der Erde entspricht. Zum Vergleich: Zur Gewinnung von Fleisch werden 70 Milliarden an Land lebende Säugetiere und Vögel pro Jahr getötet. Die Degradierung der Fische zu einer Ware zeichnet sich jedoch nicht nur in den Fang- und Tötungsmethoden ab: Getötete Fische werden nicht einmal als Individuen erfasst, zu gigantisch ist deren Zahl. Sie werden unter die Kategorie „Fisch“ gefasst und in Tonnen gezählt.

Fische fühlen Schmerz

Der Mythos, Fische würden keinen Schmerz empfinden, hat sich lange gehalten. Fische können zwar nicht wie Säugetiere und Vögel schreien, doch sie zeigen andere Anzeichen von Schmerz: Fische, die aus dem Wasser gezogen werden und einem qualvollen Erstickungstod überlassen werden, schnappen nach Luft, schlagen mit ihren Flossen um sich, winden sich vor Schmerz. Der Erstickungstod ist nur eine Variante, wie Fische ihr Ende finden. In der Hochseefischerei werden sie in den riesigen Netzen oft schlicht vom Gewicht ihrer Artgenoss:innen erdrückt. Durch den Druckunterschied unter Wasser und an Land kann zudem ihre Schwimmblase platzen und sie an inneren Verletzungen sterben lassen. Der Tod ist für Fische ein wahrer Kampf, der sich über Stunden hinziehen kann.

Fische sind klug

Fische verfügen über hohe Intelligenz: Sie können zahlreiche Artgenoss:innen unterscheiden und lernen voneinander. Steinbarsche etwa beobachten ihre älteren Kolleg:innen bei der Nahrungsaufnahme, um zu lernen, was sichere Nahrungsquellen sind. Zackenbarsche verfügen über ein ausgeprägtes räumliches Gedächtnis und merken sich genau, wo sich Beutefische verstecken. Sie führen dann ihre Jagdpartner:innen, die Muränen, dorthin und maximieren so beide ihren Erfolg. Großzahn-Lippfische nutzen sogar eine Art Werkzeug. Nachdem sie Muscheln gefunden haben, transportieren sie diese im Mund zu einem Stein und brechen sie mithilfe von diesem auf. Alle Arten und Individuen sind einzigartig. Gemeinsam ist ihnen, dass sie beeindruckende kognitive Eigenschaften aufweisen. Kein Wunder eigentlich, bedenkt man, dass Fische bereits seit 450 Millionen Jahren existieren.

Fische sind sozial

Fische sind höchst soziale Lebewesen. Durch ihre Fähigkeit, sich individuell zu erkennen, werden komplexe soziale Beziehungen und Interaktionen ermöglicht. Kaninchenfische gehen gemeinsam zum Essen. Während der eine isst, hält der andere Ausschau nach Feinden. Putzerfische ernähren sich von Algen und Parasiten, die sie vom Körper anderer Fische abknabbern. Der „Kunde“ wird so gesäubert, der Putzerfisch erhält einen vollen Bauch. Die beiden erkennen sich gegenseitig und beobachten einander in Interaktion mit anderen Fischen. So weiß der Putzerfisch genau, ob der andere auch weitere Putzstationen oder nur exklusiv seine besucht. Je nachdem passt er seine Behandlung an. Fische genießen außerdem die Anwesenheit und Berührungen von Artgenoss:innen. Zum Teil auch von Menschen. So gibt es Berichte über Muränen oder Barsche, die sich von Taucher:innen streicheln lassen. Das komplexe Innenleben der Fische hat auch eine Kehrseite. Eng zusammengepfercht in Aquakulturen können sie Depressionen entwickeln, wie es etwa bei Lachsen in der Fischzucht beobachtet wurde.

Fische entwickeln innovative Überlebensstrategien

Der Großteil der aquatischen Flora und Fauna benötigt Sonnenlicht und ist somit in den oberen Wasserschichten angesiedelt. In einer Tiefe von 1.000 Metern ist es stockdunkel und dennoch sind dort einige Tiere angesiedelt, die innovative Strategien zum Überleben entwickelt haben. Die Tiefseeangler umfassen etwa 160 Arten und leben in der Tiefsee aller Ozeane. Die Weibchen sind wesentlich größer als die Männchen und besitzen ein Leuchtorgan, welches an einer Art Angel am Kopf befestigt ist und andere Tiere zu Nahrungszwecken anzieht. Nicht tief, aber auch am Boden leben Steinfische. Obwohl sie stark giftig sind und sich so gegen Feinde schützen, tarnen sie sich zudem als Stein. Eine andere Taktik wählen Kugelfische. Sie pumpen sich bei Gefahr zu einer Kugel auf. So wirken sie bedrohlich und können schwerer von Feinden verspeist werden.

Fische sind Freunde, kein Futter

All diese faszinierenden Erkenntnisse aus der Welt der Tiere unter Wasser veranlasst immer mehr Personen, Fische und andere Meeresbewohner:innen von ihrem Speiseplan zu streichen. Wachgerüttelt hat sicherlich auch die Doku „Seaspiracy“, die seit März 2021 auf Netflix gestreamt werden kann und eine globale Diskussion über Fische angeheizt hat. So bleibt Hoffnung, dass sie als das anerkannt werden, was sie sind: Fühlende und denkende Lebewesen, die unseren Respekt verdient haben.

Buchtipp: Was Fische wissen von Jonathan Balcombe

Fische wissen eine Menge. Das weiß auch Jonathan Balcombe. Der renommierte Verhaltensbiologe beschäftigt sich seit Jahren mit den kognitiven und emotionalen Eigenschaften von Fischen. „Was Fische wissen“ ist sein gesammelter Erfahrungsschatz über die aquatischen Lebewesen. Die Leser:innen erhalten ein umfassendes Verständnis darüber, was Fische hören, riechen und schmecken, was sie spüren und denken und wie sie miteinander zusammenleben. So zeigt sich, dass Fische mitunter sehr gesellig sind und lebenslange Freundschaften bilden können. So verblüffend die Fakten sein mögen, so klar ist die Botschaft des Buches: Fische sind fühlende Lebewesen, die nicht von uns ausgebeutet werden sollten.

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