Vegetarische Kochlehre? Grüne Wirtschaft im Interview

Vegetarische Kochlehre? Grüne Wirtschaft im Interview

19.11.2024

Anfang November haben wir uns mit zwei Vertreter:innen der Grünen Wirtschaft getroffen, um über die vegane/vegetarische Kochlehre zu sprechen, die vor einem halben Jahr in aller Munde und für Anfang 2025 angekündigt war. Seit einigen Monaten liegt sie allerdings auf Eis. Unser Obmann Felix Hnat hat sich mit Sabine Jungwirth und Joachim Ivany über den aktuellen Stand der Dinge unterhalten.

Update vom 18.12.2024: Die Verordnung zum Lehrberuf „Fachkraft für vegetarische Kulinarik” wurde unterschrieben und veröffentlicht und ist somit fixiert. Mehr dazu in unserem Artikel „Wir sind Weltmeister! Die vegetarische Lehre kommt“.


© Alexander Hackl, Grüne Wirtschaft

Liebe Sabine, lieber Joachim, es freut mich sehr, dass ihr für ein Treffen Zeit gefunden habt und uns spannende Antworten geben könnt! Stellt euch bitte mal kurz vor: Wer seid ihr und was ist euer Beruf bzw. eure Funktion?

Sabine Jungwirth: Ich bin Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft und sitze deshalb in zahlreichen Gremien in der Wirtschaftskammer Österreich und der Sozialversicherung der Selbständigen. Als Unternehmensberaterin bin ich auf Nachhaltigkeitsberatung spezialisiert und bin zusätzlich Aufsichtsrätin in einem Baumanagementunternehmen und Beirätin in einem Social Business.

Joachim Ivany: Ich bin Spartenobmann für Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Grünen Wirtschaft und sitze in der Fachgruppe (Wien) und im Fachverband (Österreich) in den jeweiligen Ausschüssen für Gastronomie. Hauptberuflich bin ich Betreiber der Erbsenzählerei im 5. Wiener Bezirk, eines vegetarisch-veganen BIO-Lokals mit Spezialisierung auf den gesunden Mittagsteller.

Unsere Artikel werden von einer breiten Öffentlichkeit gelesen, nicht nur von Fachpublikum. Könnt ihr kurz erklären, was die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und die Grüne Wirtschaft (GW) jeweils genau sind?

Sabine Jungwirth: Die Wirtschaftskammer Österreich ist die Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaft. Das bedeutet, dass ihre Repräsentant:innen bei allen Themen, die die Wirtschafts- und Arbeitswelt betreffen, aus Sicht der Unternehmen in engem Kontakt mit der Politik Lösungen erarbeiten oder vorschlagen. Innerhalb der Kammer gibt es politische Fraktionen. Die Mehrheitsfraktion stellt der ÖVP-Wirtschaftsbund. Die Grüne Wirtschaft setzt sich vor allem für ökologisch und sozial engagierte Unternehmen ein. Zusätzlich engagieren wir uns für alle Anliegen von Ein-Personen-Unternehmen (EPU) und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), weil die Wirtschaftspolitik der WKO in meiner Wahrnehmung vorrangig entlang der Interessen von Großbetrieben und Industrie ausgerichtet ist.

Joachim, du betreibst ein vegetarisches Restaurant im 5. Wiener Gemeindebezirk, in dem auch vegane Speisen angeboten werden. Wie bist du auf die Idee gekommen, dich für eine vegetarische/vegane Kochlehre einzusetzen? Was war die Initialzündung?

Joachim Ivany: Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Der Fachkräftemangel hat in unserer Branche erschreckende Ausmaße angenommen und es wird immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden. Hinzu kommt, dass die meisten Köch:innen mit einer klassischen Kochausbildung von der vegan-vegetarischen Küche nicht wirklich viel Ahnung haben und vor Ort neu geschult werden müssen. Abgesehen davon besagt die aktuelle Regelung, dass nur Betriebe mit Fleisch auf der Speisekarte Lehrlinge ausbilden dürfen. Dementsprechend können vegane und vegetarische Restaurants kein eigenes Fachpersonal ausbilden. Durch diese Regelung sperrt man sämtliche Menschen, die aus ethischen, religiösen oder sonstigen Gründen nicht mit Fleisch hantieren wollen, komplett aus der Küche aus.

Sabine, warum hat die Grüne Wirtschaft das Thema so stark unterstützt und wie war das Zusammenspiel mit dem Grünen Parlamentsklub?

Sabine Jungwirth: Für die Grüne Wirtschaft steht das Thema Klimaschutz ganz oben auf der Agenda. Da passt selbstverständlich auch die Unterstützung einer pflanzenbasierten Ernährung perfekt dazu. Wir sehen außerdem, dass die Nachfrage nach geschmackvollen, vielfältigen Gerichten auf Pflanzenbasis gerade in der Gastronomie und Hotellerie massiv steigt. Es ist daher auch eine wichtige Aufgabe, diesem Trend entsprechende Angebote zu schaffen, um attraktiv zu bleiben. Und deshalb braucht es auch eine Lehre, die dies möglich macht.
Joachim hat sich schon seit längerem innerhalb der WKO für die neue Lehre eingesetzt. Die Regierungsbeteiligung der Grünen hat es möglich gemacht, dass wir endlich im Zusammenspiel mit dem Grünen Parlamentsklub vorangekommen sind.


© Alexander Hackl, Grüne Wirtschaft

Sabine und Joachim, was waren eure Berührungspunkte mit der Veganen Gesellschaft Österreich und welchen Beitrag hat das Projekt Vegucation geleistet?

Joachim Ivany: Ich habe die Vegane Gesellschaft gleich zu Beginn des Projekts um Unterstützung ersucht und bin ab dem ersten Moment auf offene Ohren und Arme gestoßen. Das Zurverfügungstellen von verschiedenen statistischen Auswertungen, die großartigen Lernunterlagen von Vegucation und die Mitarbeit bei der Erstellung der Verordnung seien hier nur beispielhaft für die enge und überaus kooperative Zusammenarbeit genannt. Es gibt und gab regelmäßigen Austausch und ohne die Mitarbeit und Unterstützung der Veganen Gesellschaft wären wir niemals so weit gekommen.

Im Juni 2024 waren Erfolgsmeldungen in der Zeitung zu lesen, dass die neue Lehre kommt. Auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) war auch ein Entwurf der Verordnung zu lesen mit der Möglichkeit, Feedback zu geben. Seitdem hat man nichts mehr gehört. Was ist passiert und wo liegt der Ball momentan?

Joachim Ivany: Sämtliche notwendige Unterlagen sind von unserer Seite an die entsprechenden Stellen gegangen. Sie wurden koordiniert und es gab eine Begutachtung. Die Verordnung liegt nun beim Bundesminister Martin Kocher, der diese aus unerfindlichen Gründen noch immer nicht veröffentlicht hat.

Was kann jetzt getan werden, damit das Projekt nicht in der Schublade verschwindet?

Sabine Jungwirth: Das Wichtigste ist, am Ball zu bleiben und öffentlich Druck aufzubauen. Die von der Veganen Gesellschaft aufgesetzte Petition ist eine gute Möglichkeit dafür. Daher die Bitte an alle: Unterschreibt die Petition an den zuständigen Bundesminister Martin Kocher!

Falls die Lehre doch kommt, wie würde es weitergehen?

Joachim Ivany: Sobald die Verordnung unterschrieben ist, werden viele verschiedene Stellen aktiv – z. B. das Unterrichtsministerium (Berufsschule, Lehrbücher). Die Lehrlingsstelle der WKO muss die Lehrabschlussprüfung definieren und entsprechende Unterlagen müssen erstellt werden (darauf baut dann die Lehre auf). Interessierte Betriebe müssen über die Anforderungen der Lehrlingsausbildung informiert werden und z. B. ein Feststellungverfahren laut § 3a Berufsausbildungsgesetz durchführen, außerdem sind Lehrlingsausbildner:innen zu benennen bzw. auszubilden. Es kommen hier also einige Aufgaben auf uns zu, um die Betriebe fit zu machen.

Wir erhalten viele Anfragen von veganen Jugendlichen, die den Start der Lehre kaum erwarten können. Gleichzeitig stehen wir mit veganen Lokalen in Kontakt, die ihre Chance gekommen sehen, in ihren Betrieben endlich eine Lehrlingsausbildung anbieten zu können. Wisst ihr schon, ob die Lehre für vegane Lehrlinge bzw. in veganen Restaurants möglich sein wird?

Sabine Jungwirth: Auch bei uns treffen viele Anfragen ein. Daran sieht man, wie wichtig diese Ausbildung ist. Wir versprechen jedenfalls, dass wir nicht locker lassen werden.

2025 finden wieder Wirtschaftskammerwahlen statt. Wahlberechtigt sind dabei sämtliche Unternehmen, die Mitglieder der Wirtschaftskammer sind. Wird die Grüne Wirtschaft wieder antreten und was sind eure Ziele?

Sabine Jungwirth: Die Grüne Wirtschaft hat in der Wirtschaftskammer derzeit in fast allen Bundesländern in der Gastronomie Mandate. Wir suchen aber noch in Vorarlberg und im Burgenland nach Unternehmen, die dieses Mal für uns kandidieren. Besonders wichtig wäre es, auch Vertreter:innen aus der veganen Kulinarik in die Wirtschaftskammerausschüsse zu bringen. Das könnte zu weiteren Verbesserungen im Sinne einer stärkeren Verankerung von Gesundheits-, Klima- und Tierschutz in der Gastronomie führen.

Dürfen sich Unternehmen auch direkt bei euch melden? Wie können sie euch kontaktieren?

Sabine Jungwirth: All jene, die an einer Mitarbeit Interesse haben, sind hochwillkommen. Am einfachsten ist die Kontaktaufnahme per E-Mail bei unserem Bundesbüro: office@gruenewirtschaft.at. Wir würden uns sehr darüber freuen!

Danke für das Gespräch!

 

Sabine Jungwirth legt ihren Schwerpunkt in der politischen Arbeit auf die Vertretung der Interessen von ökologisch und sozial engagierten Unternehmen sowie auf die soziale Absicherung von Selbständigen und setzt sich für Fairness und Gerechtigkeit in der Wirtschaft ein. Dazu gehört auch ein starkes Engagement für die Gleichstellung von Frauen.

 

Joachim Ivany, Gastronom mit Leib und Seele, legt als Betreiber eines gastronomischen BIO-Betriebs in Wien auf Nachhaltigkeit und Fairness Wert. Sämtliche betriebliche Entscheidungen werden nach den SDGs (Sustainable Development Goals) getroffen und entsprechend angepasst – das ist für ihn der einzig vernünftige Weg.