Imperiale Lebensweise auf unserem Teller

Imperiale Lebensweise auf unserem Teller

12.04.2021

Unsere Produktions- und Konsummuster sind weder sozial noch ökologisch verträglich und werden von den Politologen Ulrich Brand und Markus Wissen als imperiale Lebensweise bezeichnet. Eine tierethische Perspektive erlaubt zudem neben der Ausbeutung von Mensch und Natur auch die Ausbeutung von Tieren sichtbar zu machen. „Auf Kosten anderer leben“ bekommt so eine neue Bedeutung und verdeutlicht, wie tierbasierte Ernährung und imperiale Lebensweise zusammenhängen.

Begriffsbestimmung der imperialen Lebensweise

Mit dem Werk „Imperiale Lebensweise“ wurde eine kritische wie auch brandaktuelle Analyse der Gegenwartsgesellschaft vorgelegt. Als imperiale Lebensweise wird dabei eine alltägliche Lebensweise bezeichnet, die auf der Ausbeutung von anderswo lebenden Menschen und anderswo angesiedelter Natur basiert. Entstanden und vorherrschend in den kapitalistischen Zentren des Globalen Nordens breitet sich die imperiale Lebensweise weiter aus und bestimmt auch zunehmend die Lebensentwürfe im Globalen Süden und seiner aufstrebenden Mittelschichten. Hierbei ist festzuhalten, dass die imperiale Lebensweise auf Exklusivität und Externalisierung basiert. Sie ist exklusiv, da sie aus ökologischen und sozialen Gründen nicht verallgemeinerbar ist und einige auf Kosten vieler leben – seien es Menschen, deren billige Arbeitskraft für billige Produktion und Konsumption (aus)genutzt wird oder Menschen, deren Lebensraum heute oder morgen durch massive Umwelteingriffe degradiert bis zerstört wird. Somit werden die ökologischen und sozialen Kosten von nicht-nachhaltigen Lebensweisen externalisiert, also zeit-räumlich verlagert – in die Zukunft oder in andere Weltregionen.

Imperiale Ernährung

Im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzog sich durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Zunahme des agrarischen Welthandels ein rasanter Ernährungswandel. Die westlich dominante Ernährungsform ist nicht zuletzt aufgrund ihres hohen Anteils an Tierprodukten ein Paradebeispiel für eine imperiale Lebensweise geworden. Der dominante Produktionsprozess von Fleisch stützt sich in Europa auf Massentierhaltung im Globalen Norden und importierte Futtermittel aus dem Globalen Süden. Fleisch ist so zu einem erschwinglichen Lebensmittel für die Massen geworden. Mit der Fleischproduktion, die sich seit Beginn der 1960er-Jahre global verfünffacht hat, stiegen letztendlich auch die ökologischen und sozialen Probleme. Fleisch und andere Tierprodukte zählen heute zu den stärksten Treibern von Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Bodenerosion sowie Wasserknappheit. Die europäische Nachfrage nach Futtermitteln und das entsprechende südamerikanische Angebot von Soja ist eng mit der Zerstörung artenreicher Ökosysteme wie der Amazonas-Regenwälder und Gran-Chaco-Savannen sowie mit der Vernichtung kleinbäuerlicher Landwirtschaft und Vertreibung der ansässigen Bevölkerung verbunden. Folglich ergibt sich ein eng verwobener Zusammenhang von Fleischkonsum und ökologischen sowie sozialen Problemen, die nicht vorrangig von den Konsument_innen direkt getragen werden, sondern die zeitlich und/oder räumlich ausgelagert werden.

Verankerung von Fleisch

Die imperiale Lebensweise und ihre Ernährung sind tief in gesellschaftliche Strukturen und somit auch in unsere Produktions- und Konsumweisen eingeschrieben. Sie drückt sich hierbei in gesellschaftlichen Leitbildern und materiellen Praxen aus, sodass unsere Vorstellungen von einem „guten Leben“ oder einer „anständigen Mahlzeit“ von komplexen sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Prozessen geleitet werden. Was oder wer auf unserem Teller landet, ist somit von zahlreichen Faktoren bestimmt, die uns beim alltäglichen Konsum nicht oder nur teilweise bewusst sind. Dazu zählen Anreize für Fleisch, die uns über Werbungen eine postulierte Normalität, Natürlichkeit und Notwendigkeit von getöteten Tieren vermitteln und über Aktionen zu einem noch stärkeren Konsum treiben wollen. Doch auch über öffentliche Subventionen und ermäßigte Steuersätze wird der Fleischpreis niedrig und der Fleischkonsum hoch gehalten. Dazu reihen sich prekäre Arbeitsbedingungen an Orten, die von pestizidverseuchten Futtermittelplantagen bis hin zu traumatisierenden Schlachthöfen reichen und die als weiterer Garant von niedrigen Lebensmittelpreisen agieren. Doch auch die Allgegenwärtigkeit von Fleisch in der öffentlichen wie privaten Gastronomie macht dessen Konsum scheinbar zu einer Selbstverständlichkeit. Zudem wirkt Fleisch als Wohlstands- und Statussymbol, das sich über die Höhe und/oder Art des Konsums ausdrückt und zu einer globalen Nachfragesteigerung beiträgt. All diese Faktoren bestimmen, dass Fleisch vielfach als essentieller Bestandteil einer Ernährung angesehen wird, die jedoch aufgrund ihrer sozialen und ökologischen Konsequenzen weder heute noch morgen verallgemeinerbar ist und somit in ihren Grundzügen einer imperialen Lebensweise entspricht.

Veganismus als solidarische Lebensform

In der konservativen wie auch progressiven Nachhaltigkeitsdebatte herrscht nach wie vor ein anthropozentrischer Fokus vor. So problematisieren Kapitalismuskritiker_innen vielfach die Ausbeutung von Mensch und Natur und zeigen die Gefahren für heutige und zukünftige Generationen auf, doch nur selten werden hegemoniale Mensch-Tier-Verhältnisse hinterfragt. Wenngleich die Ausbeutung von Tieren nur schwer quantifiziert werden kann, so verdeutlicht die Tatsache, dass jährlich etwa 80 Milliarden Landlebewesen zu Nahrungszwecken getötet werden, das massive Ausmaß der Tier(aus)nutzung. Weltweit werden Tiere zu Objekten degradiert und nach menschlichen Wünschen in der Zucht „erzeugt“, in der Mast „produziert“ und durch ihre Tötung in eine (weitere) Ware „transformiert“. Die Unterwerfung unter ebendiese ökonomische Verwertungslogik bedroht und zerstört das Leben von empfindungsfähigen, landwirtschaftlich gehaltenen Tieren und zieht zudem einen weiteren Wirkungskreis. Denn soziale und ökologische Folgen der industriellen Tierhaltung gefährden zunehmend die Lebensgrundlage von Menschen und sogenannten Wildtieren. Der Veganismus – verstanden als Lebensweise, die gegen die Ausbeutung von leidensfähigen Tieren gerichtet ist – kann hierbei einen Gegenentwurf zu imperialen Produktions- und Konsumweisen darstellen, sofern auch sozio-ökologische Aspekte der Ernährung beachtet werden. Solidarische Lebensformen, die als Alternative zur dominanten imperialen Lebensweise konzipiert sind, sollten somit auch vegane Prinzipien umfassen, um ein gutes Leben für wirklich alle zu ermöglichen – also für menschliche und tierliche Lebewesen.