Kultiviertes Fleisch: Eine nachhaltige Option für die Zukunft?
Kultiviertes Fleisch: Eine nachhaltige Option für die Zukunft?
Im Sommer 2013 stellte der niederländische Wissenschafter Mark Post der Weltöffentlichkeit einen Burger aus kultiviertem Fleisch vor – also echtes Fleisch, für das aber kein Tier sterben musste. Was vor elf Jahren noch wie eine kühne Zukunftsvision wirkte, ist inzwischen deutlich näher an die Teller der Menschen gerückt. Wo stehen wir auf dem Weg von kultiviertem Fleisch zur Marktreife und warum braucht es das überhaupt?
Gastbeitrag von Ivo Rzegotta, The Good Food Institute Europe
Bei kultiviertem Fleisch handelt es sich im Prinzip um dasselbe Fleisch, das wir heute essen. Es wird jedoch nicht durch das Halten von Tieren hergestellt, sondern durch das Vermehren von Zellen in Fermentern, wie sie auch zum Bierbrauen verwendet werden. Kultiviertes Fleisch ist allerdings kein Alternativprodukt, sondern ein tierisches Produkt, das ohne das Schlachten von Tieren hergestellt wird. Es schmeckt genauso, riecht genauso und lässt sich genauso zubereiten wie Fleisch aus Tierhaltung.
Für die Herstellung von kultiviertem Fleisch wird einem Tier eine kleine Probe von Zellen entnommen, die in einen Fermenter gegeben wird. Dort erhalten die Zellen das Wasser, die Nährstoffe und die Wärme, die sie für ihre Vermehrung und ihr Wachstum benötigen. In dem Fermenter laufen dieselben Prozesse ab wie im Körper eines Tiers. Der Unterschied: Wenn das kultivierte Fleisch zu einem Laibchen oder Burger weiterverarbeitet und serviert wird, steht die Kuh noch munter auf der Weide.
Wir verwenden dafür den Begriff „kultiviertes Fleisch“, weil der Herstellungsprozess mit dem Kultivieren von Stecklingen in einem Gewächshaus vergleichbar ist. Der umgangssprachliche Begriff „Laborfleisch“ ist dahingegen irreführend, weil die Produktionsanlagen für kultiviertes Fleisch im industriellen Maßstab eher einer Bierbrauerei ähneln werden und mit einem Labor wenig zu tun haben.
Warum braucht es das überhaupt?
Die Folgen des übermäßigen Fleischkonsums für die Umwelt, die Tiere und die öffentliche Gesundheit sind allgemein bekannt und viele Menschen greifen häufiger als früher zu pflanzlichen Alternativen. Dennoch liegt der Marktanteil von pflanzlichen Fleisch- und Fischalternativen derzeit im niedrigen einstelligen Prozentbereich, denn viele Menschen fühlen sich dadurch noch nicht hinreichend angesprochen.
Kultiviertes Fleisch zielt darauf ab, ein Angebot für eben jene Menschen zu schaffen, die weiter Fleisch essen wollen, aber nach nachhaltigen Optionen Ausschau halten. Die eigentliche Zielgruppe von kultiviertem Fleisch sind also nicht vegetarisch oder vegan, sondern omnivor und flexitarisch lebende Menschen. Ob kultiviertes Fleisch auch für Veganer:innen eine Option ist, muss am Ende jede:r für sich selbst entscheiden.
Laut einer auf empirischen Daten beruhenden Analyse könnten bei der Produktion von kultiviertem Fleisch mit Erneuerbaren Energien im Vergleich mit der Tierhaltung bis zu 92 % der Treibhausgasemissionen, bis zu 90 % des Flächenbedarfs und bis zu 94 % der Luftschadstoffe reduziert werden.
Sind die Österreicher:innen offen für kultiviertes Fleisch?
Die Idee von kultiviertem Fleisch ist noch recht neu. Doch schon heute sind viele Österreicher:innen gegenüber kultiviertem Fleisch aufgeschlossen, obwohl noch kein einziges Produkt in Europa verfügbar ist und viele irreführende Behauptungen die öffentliche Debatte prägen. Laut einer repräsentativen Umfrage vom März 2024 sagen 42 % der Menschen in Österreich, dass sie kultiviertes Fleisch zumindest einmal probieren würden.
In der Gruppe der unter 35-Jährigen sagen das sogar 51 %. Auch in der Gruppe der Männer, die weniger häufig zu pflanzlichen Optionen greifen, ist das Interesse mit 48 % deutlich höher. Vieles spricht also dafür, dass sich mit kultiviertem Fleisch neue Zielgruppen ansprechen lassen.
Wann gibt es kultiviertes Fleisch zu kaufen?
Kultiviertes Fleisch befindet sich im Übergang von der Forschungs- und Entwicklungsphase zur Marktreife. Bis wir erste kultivierte Produkte in einem österreichischen Supermarkt kaufen können, wird es allerdings noch etwas dauern: Es gibt noch zwei Herausforderungen, die kultiviertes Fleisch bewältigen muss.
Zum einen muss die Produktion skaliert werden, sodass die Herstellungskosten sinken. Gegenwärtig ist die Herstellung von kultiviertem Fleisch noch viel zu teuer. Daher wird die Markteinführung auch eher mit hybriden Produkten erfolgen, also mit pflanzenbasierten Produkten, die durch kultivierte Fett- oder Muskelzellen weiter verbessert werden – wie in Singapur, wo seit wenigen Wochen ein Hybridprodukt im Einzelhandel verkauft wird, das neben pflanzlichen Zutaten 3 % kultiviertes Hühnerfleisch enthält.
Zum anderen muss kultiviertes Fleisch ein umfassendes Zulassungsverfahren auf EU-Ebene durchlaufen, bevor es in Österreich verkauft werden darf. Das Verfahren umfasst eine gründliche Prüfung der gesundheitlichen Sicherheit, die den weltweit höchsten Standards folgt. Mittlerweile sind erste Produkte in Singapur und in den USA für den Verkauf zugelassen. Seit Juli 2024 liegt nun auch ein erster Zulassungsantrag in der EU vor: für kultivierte Entenstopfleber (Foie Gras), ein Lebensmittel, bei dem der Tierwohlaspekt wohl besonders offensichtlich ist.
Es wird geschätzt, dass das Zulassungsverfahren mindestens 18 Monate dauern wird. Bis zum Ende dieses Verfahrens werden sicher weitere Zulassungsanträge folgen.
Das Good Food Institute Europe (GFI) ist ein unabhängiger Think-Tank, der sich mit alternativen Proteinquellen wie pflanzlichen Lebensmitteln und kultiviertem Fleisch beschäftigt. Ivo Rzegotta ist Public Affairs Manager für den DACH-Raum.