DGE-Positionspapier zu veganer Ernährung
DGE-Positionspapier zu veganer Ernährung
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) hat kürzlich ein eigenes Positionspapier zu veganer Ernährung veröffentlicht. Darin wird in erster Linie die Nährstoffaufnahme bei veganer Ernährung analysiert, worauf aufbauend konkrete Handlungsempfehlungen zur Vermeidung möglicher Defizite gegeben werden. Aber auch die Vorteile einer pflanzenbetonten Kost werden in der 11-seitigen Stellungnahme angesprochen. Die DGE reagiert damit auf die seit einigen Jahren stark steigende Anzahl vegan lebender Menschen im deutschen Sprachraum.
Positive Effekte pflanzlicher Ernährung
Eine vegane Ernährung hat deutliche Vorteile hinsichtlich der Lebensmittelauswahl: Während eine hohe Zufuhr von rotem Fleisch und insbesondere Fleischerzeugnissen das Risiko für bestimmte Erkrankungen wie einige Krebsarten erhöht, können hohe Anteile an ballaststoffreichen Getreideprodukten sowie Obst und Gemüse das Risiko für viele Krankheiten senken. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus Typ 2. Eine vegane Ernährung ist nicht nur frei von Fleisch, aber reich an Obst, Gemüse und ballaststoffreichen Getreideprodukten, sondern zeichnet sich darüber hinaus durch eine hohe Aufnahme an sekundären Pflanzenstoffen aus. Somit „kann angenommen werden, dass eine pflanzenbetonte Ernährungsform [...] gegenüber der in Deutschland üblichen Ernährung mit einer Risikosenkung für ernährungsbedingte Krankheiten verbunden ist.“, schlussfolgert die DGE.
Nährstoffzufuhr bei veganer Ernährung
Pflanzenbetonte Ernährungsweisen gehen mit einer guten Versorgung mit verschiedenen Vitaminen wie Vitamin C, Vitamin E, Thiamin und Folat sowie Mineralstoffen wie Magnesium und Kalium einher. Ebenso enthält eine vegane Ernährung viele Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, während weniger gesättigte Fettsäuren als bei der omnivoren Kost und kein Cholesterin aufgenommen werden. Die DGE erwähnt diese Vorteile, konzentriert sich in ihrem Positionspapier jedoch auf die potentiell kritischen Nährstoffe, zu denen in erster Linie Vitamin B12 zählt. Da dieses in einer für den Menschen verfügbaren Form in pflanzlichen Lebensmitteln fast nicht vorkommt, empfiehlt die DGE die Integration von Nährstoffpräparaten oder angereicherten Lebensmitteln sowie eine regelmäßige Blutkontrolle. Als Biomarker stehen hierfür die Blutkonzentration von Vitamin B12, Holotranscobalamin, Methylmalonsäure im Serum und Homocystein im Plasma zur Verfügung. Zu beachten ist, dass keiner dieser Biomarker als alleiniger Parameter zur Beurteilung der Vitamin-B12-Versorgung geeignet ist.
Mögliche Schwierigkeiten sieht die DGE jedoch auch in der Versorgung mit Protein bzw. unentbehrlichen Aminosäuren, langkettigen Omega-3-Fettsäuren (EPA und DHA) sowie den Vitaminen Riboflavin und Vitamin D und einigen Mineralstoffen (Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Selen). Im Rahmen einer übersichtlichen Tabelle werden pflanzliche Nährstofflieferanten vorgestellt, mit denen die als potentiell kritisch benannten Nährstoffe abgedeckt werden können.
Potenziell kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung und pflanzliche Nährstofflieferanten
Potenziell kritischer Nährstoffa | Pflanzliche Nährstofflieferanten | Anmerkungen zur veganen Ernährungb |
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Protein | Hülsenfrüchte, Nüsse, Getreide (Vollkorn), Ölsamen, Kartoffeln über den Tag verteilt und gezielt kombiniert (z. B. Getreide + Hülsenfrüchte, Sojaprodukte und/oder Ölsamen) verzehren |
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langkettige n3-Fettsäuren | mit Mikroalgenölen angereicherte Lebensmittel |
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Vitamin D | einige Speisepilze (z. B. Champignons, Pfifferlinge), mit Vitamin D angereicherte Lebensmittel | Vitamin D nimmt unter den Vitaminen eine Sonderstellung ein, da es sowohl über die Ernährung zugeführt als auch vom Menschen selbst durch Sonnenbestrahlung gebildet werden kann [30]. |
Riboflavin | Ölsamen, Nüsse, Hülsenfrüchte, verschiedene Gemüsearten (z. B. Brokkoli, Grünkohl) und Vollkorngetreide | |
Vitamin B12 | mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel |
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Calcium | Gemüse (z. B. Brokkoli, Grünkohl, Rucola), Nüsse (z. B. Haselnüsse und Paranüsse), Hülsenfrüchte, Fleischersatz aus Soja („texturiertes Sojaprotein“), Tofu, Mineralwasser (calciumreich, > 150 mg/L), mit Calcium angereicherte Lebensmittel | |
Eisen | Hülsenfrüchte, Ölsamen, Nüsse, Vollkorngetreide und verschiedene Gemüsearten (z. B. Spinat, Schwarzwurzeln) |
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Jod |
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Zink | Vollkorn, Hülsenfrüchte, Ölsamen, Nüsse | Zubereitungsverfahren wie Sauerteiggärung und Keimung verbessern die Bioverfügbarkeit [2]. |
Selen | Kohl- (z. B. Brokkoli, Weißkohl), Zwiebelgemüse (z. B. Knoblauch, Zwiebeln), Pilze, Spargel und Hülsenfrüchte, Paranüsse | Der Gehalt in pflanzlichen Lebensmitteln variiert je nach Anbaugebiet stark, da er vom Selengehalt der Böden abhängig ist [2]. |
Fußnoten
- Referenzwerte für die Zufuhr dieser Nährstoffe siehe [30] und dge.de/wissenschaft/referenzwerte
- Über die hier genannten Hinweise zur Einnahme von Präparaten hinaus gelten für Veganer, wie für die Allgemeinbevölkerung, die Empfehlungen zur Vitamin-K-Gabe bei Neugeborenen (orale Gabe von 3 x 2 mg Vitamin K) sowie zur Vitamin-D-Gabe bei Säuglingen (täglich 10 μg Vitamin D) und zur Einnahme eines Folsäurepräparats bei Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten (täglich 400 μg synthetische Folsäure); die Folsäureeinnahme sollte spätestens 4 Wochen vor Beginn der Schwangerschaft anfangen und während des ersten Drittels der Schwangerschaft beibehalten werden [30].
Vegane Ernährung bei Kindern, Schwangeren und Stillenden
Hinsichtlich der veganen Ernährung in speziellen Lebensphasen wie Kindheit, Schwangerschaft und Stillzeit äußert sich die DGE vorsichtig. Aktuelle aussagekräftige Studien fehlen derzeit noch, um die Versorgungssituation umfassend beurteilen zu können. Da in diesen sensiblen Lebensphasen generell ein höheres Risiko für Nährstoffdefizite besteht, müsse veganen Schwangeren, Stillenden und Kindern vom Säuglingsalter über die gesamte Wachstumsphase bis hin zu Jugendlichen gesonderte Aufmerksamkeit gelten. Wichtig sei die Auswahl von hochwertigen, nährstoffreichen Lebensmitteln sowie die regelmäßige Überprüfung der Nährstoffversorgung durch Ernährungsberater und Ärzte, um die Zufuhr einzelner Nährstoffe durch den genau kalkulierten Verzehr angereicherter Lebensmittel oder Nährstoffpräparate zu optimieren.
Lebensmittelauswahl bei veganer Ernährung
Die Nachfrage nach veganen Fertig- und Ersatzprodukten steigt rasant. Eine gesunde vegane Ernährung basiert jedoch auf natürlichen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse einschließlich Hülsenfrüchten, Getreide, Nüsse und Ölsamen sowie hochwertigen Ölen. Auch für die Lebensmittelauswahl werden anhand einer Tabelle Tipps gegeben.
Lebensmittelgruppen in der vollwertigen Ernährung (Mischkost) und in der veganen Ernährung
Lebensmittel | Vollwertige Ernährung (Mischkost) nach DGE (Orientierungswerte für Erwachsene) [80, 81] | Vegane Ernährung nach der Gießener vegetarischen Lebensmittelpyramide [2] |
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Gruppe 1: Getreide, Getreideprodukte, Kartoffeln | täglich
| etwa 2−3 Mahlzeiten pro Tag, z. B. Vollkornbrot, Kartoffeln, Reis |
Gruppe 2: Gemüse (inkl. Hülsenfrüchte) und Salat | täglich
| mindestens 400 g bzw. 3 Portionen Gemüse (für die Calciumversorgung häufiger dunkelgrünes Gemüse wählen) |
Gruppe 3: Obst (inkl. Nüsse) | täglich
| mindestens 300 g bzw. 2 Portionen Obst pro Tag, frisches Obst ergänzen durch maximal 50 g Trockenfrüchte und Säfte; Nüsse und Samen: 30−60 g pro Tag (v. a. Mandeln und Sesam liefern viel Calcium) |
Gruppe 4: Milch und Milchprodukte | täglich
| entfällt; stattdessen: Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Kichererbsen und Linsen: 1−2 Mahlzeiten pro Woche und Sojaprodukte (Sojamilch, -jogurt, Tofu, Tempeh, etc. ...) und weitere Proteinquellen (z. B. Seitan): 50−150 g/Tag |
Gruppe 5: Fleisch, Wurst, Fisch und Eier | wöchentlich
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Gruppe 6: Öle und Fette | täglich
| naturbelassene pflanzliche Öle und Fette: 2−4 Esslöffel pro Tag – für die Versorgung mit n3-Fettsäuren v. a. Raps-, Lein- und Walnussöl wählen |
Gruppe 7: Getränke | täglich
| calciumreiches Wasser und andere alkoholfreie, kalorienarme Getränke: täglich 1−2 L |
außerdem |
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Vergleich mit internationalen und nationalen Empfehlungen
Die bekannteste Stellungnahme zum Thema vegane Ernährung stammt von der Academy of Nutrition and Dietetics aus den USA, größte und bekannteste Fachgesellschaft für Ernährung der Welt. Sie vertritt schon seit vielen Jahren die Position, dass eine gut geplante vegane Ernährung allen Ernährungsempfehlungen gerecht werden kann und für alle Altersgruppen angemessen ist. Ausdrücklich schließt sie auch Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit mit ein. Dieser Position folgen Fachgesellschaften anderer Länder wie etwa das National Research Council in den Ernährungsempfehlungen für Australien und das portugiesische National Programme for the Promotion of a Healthy Diet. Kritische Stimmen hinsichtlich einer veganen Ernährung für Kinder, Schwangere und Stillende kommen vor allem aus dem deutschen Sprachraum. So wird beispielsweise in den Empfehlungen der Ernährungskomission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin eine vegane Ernährung ohne die Einnahme von Nährstoffpräparaten für Säuglinge abgelehnt.
Fazit und Positionierung der DGE
Laut DGE ist eine vegane Ernährung dann bedarfsgerecht möglich, wenn bestimmte Punkte beachtet werden:
- die dauerhafte Einnahme eines Vitamin-B12-Präparats sowie die regelmäßige ärztliche Überprüfung der Vitamin-B12-Versorgung,
- die gezielte Auswahl nährstoffdichter Lebensmittel und angereicherter Lebensmittel, um die Nährstoffversorgung sicherzustellen,
- gegebenenfalls die ärztliche Überprüfung mit weiteren kritischen Nährstoffen und bei einem Mangel die Ernährung umstellen und über Nährstoffpräparate oder angereicherte Lebensmittel die kritischen Nährstoffe solange zuführen, bis der Mangel behoben ist,
- Beratung von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft.
Eine vegane Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit, Kindes- und Jugendalter empfiehlt die DGE nicht, rät jedoch auch nicht ausdrücklich davon ab. Wer sich dazu entscheide, sollte unbedingt die oben genannten Punkte beachten.
Kommentar der Veganen Gesellschaft Österreich
Mit dem Positionspapier der DGE gibt es nun erstmals offizielle Empfehlungen zur veganen Ernährung im deutschen Sprachraum. Die DGE spielt nicht nur in Deutschland eine zentrale Rolle bei ernährungswissenschaftlichen Fragen, sondern hat auch einen wesentlichen Einfluss auf Entscheidungen und Empfehlungen in Österreich. Da der Anteil vegan lebender Menschen derzeit im deutschen Sprachraum rapide steigt, war es dringend notwendig, dass die DGE entsprechend reagiert und konkrete Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Daher begrüßen wir als Vegane Gesellschaft Österreich die Publikation der DGE. Die ausführlichen Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr, insbesondere Vitamin B12, und zur Lebensmittelauswahl sind gründlich recherchiert und entsprechen weitgehend unseren eigenen Empfehlungen. Leider wirken sowohl die Zusammenfassung als auch das Fazit deutlich kritischer als die Stellungnahme selbst, wodurch leicht der Eindruck entstehen kann, dass die DGE von einer veganen Ernährung prinzipiell abraten würde, weil das Risiko, einen Nährstoffmangel zu bekommen, zu groß wäre. Gleichzeitig wird auch die starke Skepsis der DGE gegenüber Nährstoffpräparaten deutlich, wobei offenbar vergessen wird, dass auch Tierfutter mit Vitamin B12 angereichert wird und somit auch bei einer gewöhnlichen Mischkost Vitamin B12 großteils über eine indirekte Supplementierung aufgenommen wird. Des weiteren fehlen in der Zusammenfassung und im Fazit Hinweise auf die Vorteile einer veganen Ernährung komplett. Etwas unklar bleibt auch, warum die DGE einen Mangel an essentiellen Aminosäuren befürchtet, da diese problemlos über verschiedene pflanzliche Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Sojaprodukte, Getreide sowie Nüsse und Ölsamen aufgenommen werden können. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, als wäre nach wie vor Skepsis seitens der DGE gegenüber der veganen Ernährung vorhanden. Man spricht bevorzugt von den Vorteilen einer „pflanzenbetonten“ Ernährung und vermeidet es, ausführlich auf die großen Kohortenstudien mit Veganer:innen, die Adventist Health Study 2 und die EPIC Oxford Study, einzugehen, die beeindruckende Ergebnisse hinsichtlich Krankheitsprävention und Lebenserwartung zeigen. Dennoch ist das Positionspapier mit seinen konkreten Handlungsempfehlungen ein wichtiger Schritt, der einmal mehr zeigt, dass das Thema Veganismus bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.