Recht auf vegane Ernährung

Recht auf vegane Ernährung

20.12.2016

Pflanzliche Alternativen in öffentlichen Mensen? Eine menschenrechtliche Betrachtung

Seit einigen Jahren lässt sich ein klarer Trend beobachten: Immer mehr Menschen ernähren sich vegan, und das nicht nur in Österreich. Das zentrale Motiv, gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten, ist neben gesundheitlichen und ökologischen Überlegungen vor allem die bewusste Vermeidung von Tierleid und Ausbeutung sowie eine starke Sensibilisierung für Tierschutz und Tierrecht. Eine vegane Lebensweise hat jedoch auch vielfältige menschenrechtliche Berührungspunkte, derer man sich auf den ersten Blick oft nicht bewusst ist. Dieser Beitrag möchte deshalb die Bedeutung der Menschenrechte für Veganer_innen etwas genauer beleuchten.

Wenn Ernährung zum Politikum wird

Vegan lebende Menschen sind in ihrem Alltag oft mit unterschiedlichen Benachteiligungen und Vorurteilen konfrontiert. Ein besonders krasses Beispiel dafür sind die verpflichtenden Ernährungsvorschriften für öffentliche Schulen in Frankreich. Kantinen werden darin gesetzlich dazu verpflichtet, bei der Zubereitung der Gerichte die überwiegende Menge an Proteinen aus tierischen Quellen zu beziehen. Zusätzlich normiert diese Regelung auch eine Mindestanzahl an Mahlzeiten mit Fleisch, Fisch und Innereien als Hauptgericht. Eine ausgewogene vegetarische und vegane Ernährung wird darin zwar nicht ausdrücklich verboten, aber de facto unmöglich gemacht.

Solche Vorschriften offenbaren nicht nur die polarisierende Wirkung von Ernährung, sondern decken auch weit verbreitete Wissensdefizite sowie Desinformation bezüglich veganer Lebensweise auf. Damit Vegetarismus und Veganismus nicht Gefahr laufen, zum Spielball populistischer Interessen zu werden, muss die Antwort auf derartige Gesetze zwar bedacht und nüchtern, jedoch nicht minder deutlich ausfallen: Unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft beruht auf den Grundpfeilern von Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Die Legitimität staatlicher Eingriffe muss somit daran gemessen werden, inwieweit sie diesen Prinzipien Rechnung tragen.

Unterschiedliche Formen der Diskriminierung

Privat haben sich vegan lebende Menschen meist gut auf ihren Ernährungsstil eingestellt. Die Gastronomie hinkt mit ihren Angeboten jedoch oft noch hinterher. Obwohl viele Lokale bereits vegetarische Gerichte anbieten, gibt es bei der Verfügbarkeit veganer Optionen meist noch Nachholbedarf. Rein rechtlich betrachtet hat man gegenüber privaten Anbietern aber keinerlei Anspruch auf eine bestimmte Diät; man kann nur das Lokal wechseln.

In der staatlichen Sphäre sieht die Situation jedoch anders aus. Menschen in öffentlich geführten Einrichtungen haben oft keine Möglichkeit, auf alternative Angebote auszuweichen; man denke nur an Patient_innen in Krankenhäusern und Pflegeanstalten, Soldat_innen in Kasernen, Insass_innen in Justizvollzugsanstalten oder Kinder und Jugendliche in Schul- und Betreuungseinrichtungen. In solchen Institutionen ist es für die Betroffenen häufig nicht möglich, eine ausgewogene vegane Ernährung zu bekommen. Meist muss man dann entweder mit Beilagen durchkommen oder sich anderweitig vegane Lebensmittel besorgen, die man in der Regel auch selbst finanzieren muss.

Aber auch wirtschaftlich werden Veganer_innen eindeutig schlechter gestellt. Unterliegen Kuhmilch und deren Erzeugnisse als „Lebensmittel“ einem begünstigten Mehrwertsteuersatz von 10 Prozent, muss man beim Erwerb pflanzlicher Ersatzprodukte tiefer in die Tasche greifen. Soja-, Reis- oder Hafermilch gelten steuerrechtlich nicht als Lebensmittel, sondern unterliegen als „Drink“ dem regulären Mehrwertsteuersatz von 20 Prozent.

Neben diesen recht offensichtlichen Ungleichbehandlungen gibt es eine Vielzahl von Alltagssituationen, in denen staatliche Akteure gegen die Überzeugungen und Prinzipien von Veganer_innen verstoßen. Soldat_innen und Polizeibeamt_innen müssen während der Ausbildung sowie im Arbeitsalltag Leder als Teil der Uniform tragen, Patient_innen bekommen regelmäßig Medikamente mit Gelatine-Bestandteilen verabreicht und Lehrlinge müssen in der Koch-Ausbildung tierische Produkte zubereiten und verkosten, so erfordert es das Lehrlingsausbildungsgesetz.

Muss man sich das als Veganer_in gefallen lassen oder hat man ein Recht darauf, dass die eigenen ethischen Prinzipien vom Staat respektiert werden?

Verbot der Ungleichbehandlung

Die universellen Grund- und Menschenrechte sind das einzige weltweit anerkannte Wertesystem, welches die Beziehung zwischen Bürger_innen und dem Staat regelt. Diese fundamentalen Rechte sind sowohl in den Verfassungen und Grundrechtskatalogen demokratischer Staaten festgeschrieben als auch in internationalen Verträgen verbrieft.

Eine der zentralen menschenrechtlichen Bestimmungen ist das Verbot von Diskriminierung. Der Staat muss also alle Menschen gleich behandeln, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung, Glauben oder Weltanschauung. Ungleichbehandlungen sind nur dann erlaubt, wenn sie auf biologischen Notwendigkeiten beruhen (z. B. aufgrund von Schwangerschaft), oder um bestehende Ungleichheit zu verringern (Frauenquoten in Führungspositionen).

Außerdem unterliegen Eingriffe des Staates in die verbrieften Grundrechte seiner Bürger_innen den Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit. Demnach hat sich der Staat um die Erfüllung aller Menschenrechte zu bemühen, wobei Eingriffe und Einschränkungen nur soweit möglich sind, als sie zum Schutz von Rechten Dritter oder für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar sind. Eingriffe müssen außerdem für die Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sowie in ihrer Intensität verhältnismäßig sein.

Ein Menschenrecht auf vegane Ernährung?

Ein Recht auf vegane Ernährung und Lebensweise ist zwar nicht ausdrücklich als solches verbrieft, lässt sich aber indirekt aus anderen Bestimmungen ableiten.

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit der Weltanschauung sowie das Selbstbestimmungsrecht gehören historisch zu den ältesten Menschenrechten. In Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot erfassen sie bei entsprechender Auslegung auch die vegane Lebensweise. Die große Mehrheit der Veganer_innen, nämlich jene, die aus ethischen Überzeugungen wie Gewaltverzicht, Achtung vor dem Leben, Pazifismus und Nachhaltigkeit auf tierische Produkte verzichten, empfinden ihre Überzeugung zumeist sicher als „Weltanschauung“. Den Staat trifft dabei die Pflicht, säkulare Weltanschauungen nicht gegenüber religiösen zu diskriminieren. Dass dies in der Regel leider häufig geschieht, sagt eben noch nichts über die tatsächliche Rechtswidrigkeit aus.

Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht muss der Staat nicht nur Eingriffe in schutzwürdige Rechte unterlassen, sondern durch sein aktives Zutun auch die volle Realisierung dieser Rechte gewährleisten, sei es durch entsprechende Gesetze, Verordnungen oder wirtschaftliche Maßnahmen. Daraus kann man somit auch eine Pflicht ableiten, in staatlichen Einrichtungen auch eine rein pflanzliche Verköstigung anzubieten oder die Besteuerung von Pflanzenmilch jener von Kuhmilch anzupassen.

Es lässt sich aber auch gesundheitlich argumentieren: Laut vielen Studien gilt eine ausgewogene pflanzliche Ernährung mit zusätzlicher Einnahme von Vitamin B12 als die gesündeste Diät. Das Recht auf Gesundheit wiederum ermächtigt Menschen zum Genuss des höchsten in ihrem Land verfügbaren Gesundheitsstandards. Wenn vegane Kost also der Gesundheit allgemein zuträglich ist, sollte man zumindest in staatlichen Einrichtungen ein durchsetzbares Recht auf solch eine Diät haben.

Projekt der Veganen Gesellschaft Österreich

Diese Überlegungen haben auch die Vegane Gesellschaft dazu inspiriert, im September 2016 das Projekt „Vegane Option“ zu starten. Ziel ist es, in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Kasernen, Schulen und Mensen standardmäßig auch ein veganes Gericht neben den bestehenden Wahlmöglichkeiten anzubieten. Durch gezielten Kontakt mit Interessens- sowie Branchenvertreter_innen wird ein Diskurs angeregt, um die Sensibilisierung in diesem Bereich zu stärken und eine menschenrechtskonforme Behandlung von Veganer_innen in staatlichen Einrichtungen zu gewährleisten. Dieser Anspruch auf die Verfügbarkeit einer „Veganen Option“ wird dabei auch medial thematisiert und Menschen dazu aufgerufen, ihre Erfahrungen mit ernährungsbedingter Ungleichbehandlung öffentlich zu kommunizieren. Letztendlich werden aber auch konkrete Möglichkeiten erörtert, bei gewissen Diskriminierungs-Tatbeständen den Rechtsweg zu beschreiten.

Vorbildwirkung und Paradigmenwechsel

Warum sollte in Österreich nicht möglich sein, was in anderen Ländern der Welt bereits Realität geworden ist? In Israel ist die vegane Lebensweise bereits eindeutig in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie vielfältige Regelungen zum Schutz von Veganer_innen zeigen. Kanada ist ein weiteres Land, welches unlängst Veganismus als säkulare Weltanschauung anerkannt hat und gerade dabei ist, gesetzliche Vorschriften zum Schutz von vegan lebenden Menschen in unterschiedlichen Lebensbereichen zu erlassen.

Gesetzliche Regelungen hinken tatsächlichen Lebenswirklichkeiten oft hinterher. Besonders bei gesellschaftspolitisch sensiblen Themen lässt der Gesetzgeber häufig Initiative vermissen. Dabei darf der Staat jedoch nicht auf seine zentralen Pflichten vergessen: nämlich den Schutz der Menschenrechte und die Gewährleistung einer offenen und pluralistischen Gesellschaft. Der Schutz von Minderheiten ist dabei ein wesentlicher Bestandteil staatlichen Handelns. Und obwohl Veganer_innen zahlenmäßig leider noch in der Minderheit sind, den Schutz ihrer Weltanschauung und daraus resultierender Rechte sollte eine entwickelte Demokratie nicht vernachlässigen.

Verbindliche Regelungen geben aber nicht nur Rechtssicherheit, sondern haben auch eine starke Vorbildwirkung für den privaten Bereich, wo Menschenrechte in der Regel nicht direkt anwendbar sind: Restaurants und Hotels sowie Veranstalter von Weihnachtsfeiern und Betriebsfesten wären dann ebenfalls stärker unter Zugzwang, einem rechtlich etablierten Standard zu entsprechen.

Petr Kudelka ist studierter Jurist und arbeitet als Projektkoordinator bei der Veganen Gesellschaft Österreich. Er beschäftigt sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Polizeipraktiken, dem Schutz der Privatsphäre, Drogenpolitik und Tierrechten.

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