„Carninutrients“: Ist eine Supplementierung notwendig?

„Carninutrients“: Ist eine Supplementierung notwendig?

20.10.2025

In den letzten Jahren haben manche Influencer:innen und Unternehmen, die Nahrungsergänzungsmittel herstellen, für Verunsicherung gesorgt: Angeblich gäbe es neue Nährstoffe, die mit einer veganen Ernährung nicht ausreichend abgedeckt wären. Doch was sagt die wissenschaftliche Evidenz dazu?

Unter der Bezeichnung „Carninutrients“ sind diese „neuen“ Nährstoffe bekannt geworden. Gemeint sind damit bestimmte Inhaltsstoffe von Fleisch und weiteren tierischen Lebensmitteln, die der menschliche Körper zumindest teilweise auch herstellen kann. Einige Influencer:innen werben für die Supplementierung dieser Nährstoffe. Dabei beziehen sie sich häufig auf einzelne Studien, die isoliert nur wenig Aussagekraft besitzen. Das Institut für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) unter der Leitung von Ernährungswissenschaftler Dr. Markus Keller hat daher den kompletten Forschungsstand zu drei dieser Substanzen sorgfältig gesichtet. Zu Arachidonsäure hat das IFPE bereits Ergebnisse in Form von wissenschaftlich fundierten Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Wissenschaftliche Paper zu Cholin und Taurin sollen folgen. Ebenso hat der Allgemeinmediziner, Notarzt und Fachbuchautor Dr. Markus Kolm umfassend zu verschiedenen Carninutrients recherchiert (insbesondere Cholin, Arachidonsäure, Carnitin und Carnosin). Wir geben einen kompakten Überblick.

Arachidonsäure

Gesunde Erwachsene sind in der Lage, ausreichend Arachidonsäure zu bilden. Sie benötigen dafür Linolsäure, die in den meisten pflanzlichen Ölen, Ölsaaten und Nüssen reichlich vorkommt. Das gilt auch für Schwangere und Stillende, die folglich ebenfalls keine Supplementierung benötigen. Auch Kinder und Jugendliche können laut der aktuellen – allerdings noch sehr begrenzten – Datenlage genug Arachidonsäure herstellen. Bei Säuglingen ist diese Fähigkeit noch sehr eingeschränkt, aber über die Muttermilch werden sie ausreichend versorgt. Werden Kinder im ersten Lebensjahr nicht gestillt, sollten sie eine Pre-Nahrung mit Anreicherung von Arachidonsäure erhalten.

Cholin

Erwachsene können ihre Cholinzufuhr sicherstellen, indem sie täglich cholinreiche Lebensmittel wie Soja, andere Hülsenfrüchte, Nüsse, Ölsaaten, Pseudo- und Vollkorngetreide sowie Gemüse der Kraut- und Kohlfamilie verzehren. Da der Körper Cholin aus Methionin, Betain, Vitamin B12 und Folat bilden kann, sollten auch diese Nährstoffe ausreichend aufgenommen werden – beispielsweise über Getreide (Methionin, Betain) und Gemüse (Folat, Betain). Das gilt prinzipiell auch für Schwangerschaft und Stillzeit. Haben Frauen in diesen Lebensphasen Schwierigkeiten, eine ausreichende Cholinzufuhr über Lebensmittel sicherzustellen, ist eine Supplementierung sinnvoll, um das Risiko für Entwicklungsstörungen des Kindes zu minimieren. Kinder können ebenfalls ausreichend über Lebensmittel und Eigensynthese versorgt werden und benötigen im Normalfall keine Nahrungsergänzung.

Tipp: Ausführliche Infos zu Cholin gibt es unter www.vegan.at/cholin!

Taurin

Auf Basis der vorhandenen, allerdings begrenzten Daten lässt sich folgendes sagen: Erwachsene können Taurin aus der Aminosäure Cystein bilden. Bei ausreichender Zufuhr von Protein und weiteren Cofaktoren ist die eigenständige Synthese bei gesunden Erwachsenen sehr wahrscheinlich ausreichend. Das gilt auch für Schwangere und Stillende. In den einzigen beiden Studien, in denen Veganer:innen inkludiert waren, hatten diese niedrigere Taurinkonzentrationen im Urin als Mischköstler:innen. Das weist auf Anpassungsmechanismen hin, um Taurin im Körper zurückzubehalten. Ob dies gesundheitliche Auswirkungen haben und eine Taurin-Supplementierung möglicherweise sinnvoll sein könnte, bleibt unklar. Bei bestimmten Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Leber- sowie Herzerkrankungen könnte eine Nahrungsergänzung einen günstigen Einfluss haben. Säuglinge sollten im ersten Lebensjahr gestillt werden oder eine taurinhaltige Pre-Nahrung erhalten.

Carnitin

Auch Carntin kann von gesunden Erwachsenen ausreichend gebildet werden. Dafür benötigt der Körper Methionin und Lysin. Diese Aminosäuren kommen unter anderem in Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen vor. Die Plasma- und Muskelcarnitinspiegel sind zwar etwas niedriger als bei Omnivor:innen, jedoch entstehen dadurch keine Nachteile hinsichtlich Muskelfunktion, kognitiver Gesundheit und Stoffwechselprozessen. Bei bestimmten Erkrankungen wie Leber-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen könnte eine Supplementierung allerdings möglicherweise sinnvoll sein. 

Carnosin

Ebenso können gesunde Erwachsene Carnosin herstellen. Dafür benötigen sie Beta-Alanin und Histidin. Während Beta-Alanin vom Körper gebildet wird, wird Histidin unter anderem über Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Erdnüsse, Sonnenblumenkerne und Mandeln zugeführt. Veganer:innen haben zwar tendenziell etwas niedrigere Carnosinspiegel als Omnivor:innen, jedoch hat dies keinen Nachteil für die Gesundheit. Für Sportler:innen gilt: Sportliche Leistungen sind auch ohne Supplementierung möglich. Eine Ergänzung mit Beta-Alanin macht nur bei speziellen Zielen im (Hoch-)Leistungssport Sinn. Das betrifft vor allem hochintensive Belastungen mit starker Laktatbildung. 

Fazit

  • Bei gesunden Erwachsenen ist keine Supplementierung mit Carninutrients notwendig.
  • Bei gesunden Kindern und Jugendlichen ist ebenfalls keine Supplementierung notwendig.
  • Bei Schwangeren und Stillenden ist prinzipiell keine Supplementierung notwendig. Eine Ergänzung mit Cholin kann jedoch sinnvoll sein, wenn die Cholinzufuhr über Lebensmittel nicht ausreicht.
  • Säuglinge werden über die Muttermilch ausreichend mit Carninutrients versorgt. Im Fall von Pre-Nahrung sollte auf einen Zusatz von Arachidonsäure und Taurin geachtet werden. 
  • Bei bestimmten Erkrankungen kann die Supplementierung mit einzelnen Nährstoffen möglicherweise sinnvoll sein.
  • Eine Ergänzung mit Beta-Alanin (Carnosin) kann bei speziellen Zielen im (Hoch-) Leistungssport hilfreich sein.

Abschließend bleibt jedoch anzumerken, dass die Studienlage beschränkt und weitere Forschung wünschenswert ist.

Eine gekürzte Version dieses Artikels ist in unserer VEGAN.AT-Ausgabe 44 erschienen.

Quellen

  • Weder Stine, Müller Sandra, Dawczynski Christine, Keller Markus. 2025. Arachidonic acid as a potentially critical nutrient for vegetarians and vegans - position paper of the Research Institute for Plant-based Nutrition (IFPE). Lipids Health Dis. (24:1), 244. doi: 10.1186/s12944-025-02645-z
  • Institut für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE): IFPE-Akademie. Neue kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung: Wie kritisch sind Cholin, Arachidonsäure, Taurin & Co.? Aufzeichnung vom 01.04.2025. Verfügbar unter: ifpe-giessen.de/fortbildungen-aufzeichnungen
  • Kolm, Markus. VEGAN.AT Online-Vorträge. "Neue" kritische Nährstoffe - eine evidenzbasierte Betrachtung im Kontext der klinischen Relevanz. Vortrag vom 23.10.2025.

Vegan Planet: Vortrag von Dr. Markus Kolm

Am 15.11.2025 um 17 Uhr findet ein Vortrag zum Thema „neue“ kritische Nährstoffe statt. Dr. Markus Kolm beleuchtet die Relevanz dieser Nährstoffe aus evidenzbasierter Perspektive und ordnet deren Bedeutung sachlich und praxisnah ein. Alle Infos und Tickets unter vegan-planet.at!