Streicheln oder Schlachten

Streicheln oder Schlachten

15.05.2023

Marcel Sebastian
Streicheln oder Schlachten. Warum unser Verhältnis zu Tieren so kompliziert ist – und was das über uns aussagt
Kösel
September 2022
240 Seiten
ISBN 978-3-466-34782-7
€ 19,00

Hintergrund: Sozialer Wandel von Mensch-Tier-Verhältnissen

Die Leben von Menschen und anderen Tieren sind seit Jahrtausenden eng verflochten. Zu erkennen sind dabei zwei Zäsuren – die neolithische Revolution vor 12.000 Jahren und die industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert. Sie haben das Verhältnis zwischen menschlichen und tierlichen Lebewesen fundamental verändert.

Das Sesshaftwerden von Menschen ist mit der Domestizierung von Tieren, aber auch von Pflanzen verwoben. Aus Jäger:innen und Sammler:innen wurden die ersten Landwirt:innen und mit ihnen entstanden Agrargesellschaften. Das Leben der Menschen war ein Leben mit und von Tieren. Die ersten sogenannten Nutztiere entstanden, also Tiere, die für ihr Fleisch, viel später auch für ihre Milch und Eier, aber vor allem für ihre Arbeitskraft, gehalten wurden.

Ein Zeitsprung von mehreren Jahrtausenden. Die Industrialisierung stellte die gesellschaftliche Ordnung sowie die bis dahin bekannten Wirtschafts- und Lebensweisen auf den Kopf. Agrargesellschaften wandelten sich Schritt für Schritt zu Industriegesellschaften. Immer mehr Menschen begannen in Fabriken zu arbeiten, immer weniger blieben in der Landwirtschaft.

Gepaart mit Massenproduktion und -konsumption ab dem 20. Jahrhundert und der damit verknüpften Entstehung der Massentierhaltung ist eine physische und emotionale Distanz gegenüber sogenannten Nutztieren entstanden. Gleichzeitig sind uns sogenannte Haustiere physisch und emotional näher als je zuvor. Das Ergebnis sind spätmoderne Gesellschaften, die von einem höchst ambivalenten Mensch-Tier-Verhältnis geprägt sind.

„Streicheln oder Schlachten“: Mensch-Tier-Verhältnisse aus soziologischer Perspektive

Ebendieser Ambivalenz im Mensch-Tier-Verhältnis geht der Soziologe Marcel Sebastian in seinem Buch nach und stellt dabei die Frage: Streicheln oder Schlachten? Er zeichnet nach, wie Tiere sozial konstruiert und damit zu sogenannten Haus-, Nutz- und Wildtieren gemacht werden. Sebastian beschreibt, wie sich die Verhältnisse zwischen Menschen und anderen Tieren geformt haben und welche Kräfte ebendiese gewandelt und zu einem zentralen gesellschaftlichen Streit im öffentlichen Raum gemacht haben.

Vermittelt werden dabei drei Botschaften: Erstens sind Mensch-Tier-Verhältnisse nicht privat, sondern politisch. Es geht nicht mehr um die Frage, ob Tiere moralisch relevant sind, sondern welche Tiere es auf welche Art und Weise sind und welche kulturellen Werte und Normen sowie welches gesellschaftliche Handeln davon berührt werden. Zweitens sind Mensch-Tier-Verhältnisse in spätmodernen Gesellschaften von hoher Komplexität geprägt. Ebendieser Komplexität, die sich in der speziesistischen Haltung gegenüber Tieren, aber auch in den ökologischen und gesundheitlichen Folgen der Tierausbeutung ausdrückt, wird im Buch viel Raum gegeben. Drittens werden spätmoderne Gesellschaften in einer Phase der kollektiven Selbstfindung verortet, die sich unter anderem in unserem Mensch-Tier-Verhältnis ausdrückt.

Fazit: Perspektivenreicher Einstieg ins Thema

„Streicheln oder Schlachten“ verspricht einen kritischen, aber nicht überredenden Ton und hält ebendiesen ein. Das Buch will motivieren, sich in die gesellschaftliche Debatte über Mensch-Tier-Verhältnisse einzubringen – egal ob Fleischesser:in, Flexitarier:in, Vegetarier:in oder Veganer:in. In einfacher und leicht verständlicher Sprache gehalten, bietet Marcel Sebastian so einen massentauglichen wie auch perspektivenreichen Einstieg in das Thema der Mensch-Tier-Beziehungen, also ein Thema, das unser aller Leben berührt.