Die 1. Veggies

Die 1. Veggies

16.07.2014

Vordenker_innen der Tierrechtsidee und die Geschichte des Vegetarismus

Über lange Zeit hinweg ernährte sich die Mehrheit der Menschen aufgrund des vorhandenen Nahrungsangebotes überwiegend vegetarisch. Die Idee von Tierschutz und ethischem Vegetarismus ist aber keinesfalls eine Erfindung des 20. Jahrhunderts: Der Grundstein für eine vegetarische Lebensweise aus ethischen Gründen wurde in der Antike, besonders im alten Griechenland, gelegt. Nachdem das Wort vegan erst im 20. Jhd. geprägt wurde, ist eine Differenzierung in den vorhandenen Zeitzeugnissen zwischen einer rein pflanzlichen bzw. ovo-lacto-vegetarischen Ernährungsform - die beide als vegetarisch bezeichnet wurden - heute schwer möglich.

Fleisch in der Antike: große Bedeutung trotz geringem Konsum

Während Fleisch meist nur von reicheren Menschen verzehrt wurde, ernährten sich das griechische und das römische Volk vorwiegend von pflanzlicher Kost: Getreide, Gemüse, Obst. Dies bedeutet aber nicht, dass damit das Tierleid minimiert war. Tierkämpfe und Hetzjagden waren bei den Römer_innen gesellschaftlich hoch angesehen, für die Griech_innen spielten Tieropfer eine große Rolle1. Wichtig war das Töten von Tieren bzw. der Fleischverzehr an sich also primär im Zusammenhang mit Bräuchen, denen eine große soziale Bedeutung innewohnte. Wer Fleischkonsum ablehnte, verschloss sich den Höhepunkten des festlichen Lebens und hob sich zugleich als Außenseiter_in bewusst vom Rest der Gesellschaft ab.

Nicht nur hier mögen sich uns gewisse Parallelen zur Situation von vegetarischen und veganen Menschen heutzutage aufdrängen: Die meisten heutigen Argumente für den Vegetarismus existierten auch schon in der Antike. Zunächst hatte die vegetarische Ernährung aber ausschließlich religiös motivierte Wurzeln.
Die 1. Veggies waren Coverstory in Magazin Nr. 13

Die ersten Vegetarier

Die ersten Berichte des antiken Vegetarismus liefert eine religiöse Gemeinschaft im 6. Jhd vor Chr., die Orphiker. Durch ihren Wunsch der „Befreiung der Seele“ traten sie für Askese und Enthaltsamkeit ein – und vermieden auch Fleisch, Eier und Wolle.

Auch viele Pythagoreer– die Anhänger des Pythagoras (Philosoph und Mathematiker ca. 570 – 500 v. Chr.) – fanden durch religiöse Motive zur fleischfreien Ernährung. Die historischen Zeugnisse, ob Pythagoras selbst konsequent vegetarisch gelebt hat, sind aber widersprüchlich. Nach dem großen griechischen Philosophen benannt war die vegetarische Lebensweise trotzdem bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Pythagoräismus bekannt. Der Seelenwanderungsgedanke und Reinkarnation (Wiedergeburt) sind für Pythagoras und seine Anhänger der wichtigste Grund für Vegetarismus. (Der Seelenwanderungsgedanke ist bei anderen Kulturen wie den Inder_innen fast allgemeingültig. Im Hinduismus hat Vegetarismus - wie auch in Teilen des Buddhismus - eine viel längere und tiefere religiöse Tradition als im europäischen Raum, so gibt es in Indien die meisten Vegetarier_innen weltweit. Die Anhänger_innen des in Indien beheimateten Jainismus leben teilweise sogar vegan.)

Platons Akademie

Der griechische Philosoph Platon (ca. 428 – 348 v. Chr.) hatte enge Beziehungen zu den Pythagoreern, sympathisierte selbst aber höchstens mit dem Vegetarismus ohne ihn durchgehend zu praktizieren. Die Platonische Akademie - die von Platon gegründete erste Philosophenschule in Athen - zeichnet sich generell durch ihre positive Einstellung zu Tieren und Vegetarismus aus und bildete eine Reihe von Vegetariern heran. Mehrere Jahrhunderte nach ihrer Gründung studierte auch Plutarch (45 – 125 n. Chr.) an der Akademie. Vor allem als junger Mann verfasste dieser enthusiastische Schriften gegen die Fleischnahrung. Neu an seiner Auffassung des Vegetarismus ist, dass die Tierliebe an sich - vergleichbar mit ethisch motiviertem Vegetarismus und Veganismus - im Mittelpunkt seiner Argumentation steht und nicht mehr der Seelenwanderungsgedanke oder gesundheitliche Argumente.

Anti-Vegetarismus - keine Modeerscheinung von heute

Wo Menschen den Vegetarismus vertreten, gibt es wohl auch immer andere, die sich dagegen aussprechen, so auch in der Antike: Vor allem Peripatetiker, Stoiker und Epikureer waren erklärte Anti-Vegetarier. Sie begründeten Fleischkonsum damit, dass Tiere vernunftlos seien und sie der Mensch zu seinem Nutzen töten dürfe.

Obwohl der Vegetarismus in der Antike den Ruf einer genügsamen, asketischen Lebensweise hatte - schließlich lebte das einfache Volk fast ausschließlich von pflanzlicher Kost - beriefen sich die antiken Anti-Vegetarier, im Gegensatz zu heute, nie auf das unbegründete Argument der gesundheitlichen Notwendigkeit von Fleisch. Epikur lebte beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen größtenteils vegetarisch. Gängig waren jedoch die auch heute bekannten Rechtfertigungen, wonach auch keine Pflanzen verzehrt werden dürften oder die verschonten Tiere auf der Welt überhand nehmen würden.

Auch die offizielle Kirche hatte zu allen Zeiten wenig Interesse am Vegetarismus, außerkirchliche Kreise befürworteten ihn hingegen häufiger, beispielsweise der Manichäismus. Im Alten Testament taucht aber die Vorstellung auf, dass Menschen und Tiere vor dem Sündenfall im Paradies vegetarisch lebten (Nach der Sintflut wird im Alten Testament das Essen von Fleisch jedoch explizit erlaubt.) – auch in der griechischen Antike existiert eine ähnliche Vorstellung von urzeitlichem Vegetarismus.

Erstarkender Vegetarismus in der Neuzeit

Der Vegetarismus spielte im christlich geprägten Mittelalter keine signifikante Rolle - im Übergang vom späten Mittelalter zu Renaissance und Humanismus wurde hingegen antikes Erbe wieder belebt, und damit auch die Gedanken von Pythagoras oder Plutarch. Vegetarisch war u.a. der Maler Leonardo da Vinci (1452 - 1519). Im Rahmen der Aufklärung und aufgeklärten Vernunft kommen zu den bereits bekannten Gründen für Vegetarismus verstärkt säkulare Motive hinzu: Es stellt sich beispielsweise die Frage, welche Art von Vernunftsverpflichtungen der Mensch gegenüber dem Tier hat.

Trotz vereinzelter Evidenz von Vegetarismus im 15. bzw. 16 Jhd. begann dieser erst im 17. Jahrhundert - nach langem Schattendasein im deutschsprachigen Raum - wieder erste Wurzeln zu schlagen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts fand er schließlich mit neuen Impulsen zu einer ersten Blütezeit in breiter Öffentlichkeit, in deren Verlauf erstmals Tierschutzvereine und Vegetarier_innen-Verbünde ins Leben gerufen wurden: Bereits 1846 entstand der Wiener Tierschutzverein, 1892 der Deutsche Vegetarier Bund.

Mit der industriellen Revolution begann ein großer sozialer Veränderungsprozess, auch die Essgewohnheiten änderten sich in Richtung einer von tierischen Produkten dominierten Ernährungsform. Als Gegenstrom zur Industrialisierung entstand die Lebensreformbewegung, welche ein neues Verhältnis zur Natur forderte. Wichtige vegetarische Vertreter waren Gustav Struve (1805 - 1870) und Eduard Baltzer (1814 - 1887).

Der Grundstein für Tierrechte wird gelegt

Im 19. Jahrhundert wandelten sich die Argumente für Vegetarismus langsam in Richtung einer originär tierethischen Begründung: Das Tier um seiner selbst willen steht im Mittelpunkt. Bei der Argumentation wird zunehmend auf Empfindungs-, Schmerz-, und Leidensfähigkeit, die vernünftige Einsicht, das Mitgefühl oder die Tierliebe zurückgegriffen. Die englische Bewegung für Tierrechte setzte früher ein und ist tiefer verwurzelt als die deutsche. Lewis Gomperz (1779 - 1861), der sich im Londoner Tierschutzverein engagierte, lehnte neben Fleisch auch Milch und Eier ab – war also Veganer. Henry S. Salt mit seinem Buch „Animals’ Rights“ von 1892 formulierte zum ersten Mal Tierrechte wie sie heute im Wesentlichen verstanden werden.

Das Engagement von Frauen

Frauen werden in der Geschichte des Vegetarismus selten erwähnt, obwohl sie historisch gesehen immer weniger Fleisch als Männer gegessen haben. Wo Frauen erstmals eine größere öffentliche Bedeutung im Zusammenhang mit dem Engagement für Tiere zugeschrieben wird, ist der Aktivismus gegen Tierversuche. Viele frühe aktive Feministinnen engagierten sich auch gegen Tierversuche, nicht alle hielten es aber wie die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Charlotte Despard (1844 – 1939) oder die Ärztin Anna Kingsford (1846 – 1888), welche vegetarisch lebten.

Veganismus und Tierrechtsbewegung im 20. Jhd.

Nachdem die beiden Weltkriege einen fast vollständigen Entwicklungsstopp der Tierrechte bedingten, prägte Donald Watson das Wort „vegan“ und gründete 1944 in England die erste Vegan Society. Seinem Beispiel folgend leisten vegane Gesellschaften heute in vielen Ländern - so auch in Österreich - ihren Beitrag zur Verbreitung des Veganismus. Durch die Publikationen „Animal Liberation“ 1975 von Peter Singer und „The Case for Animal Rights“ 1983 von Tom Regan wurde ein besonderer Aufschwung für die Tierrechtsbewegung – und infolgedessen die Gründung vieler neuer Vereine - initiiert. 1988 veröffentlichte Helmut Kaplan mit „Philosophie des Vegetarismus“ den ersten österreichischen Beitrag zur modernen Tierrechtsphilosophie.

Neben ethischen, religiösen oder gesundheitlichen Gründen etabliert sich in den letzten Jahren auch immer mehr das Umweltargument als eines der tragenden Motive für pflanzliche Ernährungsformen. Die Ideen des Veganismus und der Tierrechte sind heute mehr Menschen als je zuvor bekannt, Vertreter_innen aus verschiedensten Gesellschaftsbereichen setzen sich aktiv für Tiere ein. Was schon vor über zweitausend Jahren in kleinen Schritten begann, wird heute umso intensiver und konsequenter fortgesetzt: Die Geschichte des Vegetarismus ist auf jeden Fall eine erfolgreiche!

Das komplette Magazin Nr. 13 kann hier heruntergeladen werden.

Quellen:

Barlösius, Eva (1997): Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform und die Jahrhundertwende. Frankfurt/Main, New York: Campus S. 24-25. (zgl. Bonn, Univ.-Habil. 1996)

Baumgartner, Judith (2001): Vegetarisch im 20. Jahrhundert – eine moderne und zukunftsfähige Ernährung. In: Vegetarismus. Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise. Hg. v. Linnemann, Manuela und Schorcht, Claudia. Erlangen: Fischer S. 107 – 126. (Tierrechte-Menschenpflichten, Bd. 4)

Dierauer, Urs (2001): Vegetarismus und Tierschonung in der griechisch-römischen Antike. In: Vegetarismus. Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise. Hg. v. Linnemann, Manuela und Schorcht, Claudia. Erlangen: Fischer S. 9 – 72. (Tierrechte-Menschenpflichten, Bd. 4)

Gaard, Greta: Vegetarian Ecofeminism. A Review Essay. Abgerufen unter: http://gretagaard.efoliomn2.com

Ingensiep, Hans Werner (2001): Vegetarismus und Tierethik im 18. und 19. Jahrhundert – Wandel der Motive und Argumente der Wegbereiter. In: Vegetarismus. Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise. Hg. v. Linnemann, Manuela und Schorcht, Claudia. Erlangen: Fischer S. 73 – 106. (Tierrechte-Menschenpflichten, Bd. 4)

Leitzmann, Claus (2007): Vegetarismus. Grundlagen, Vorteile, Risiken. 2. akt. Aufl. München: Beck.

Schmithausen, Lambert (2000): Essen, ohne zu töten. Zur Frage von Fleischverzehr und Vegetarismus im Buddhismus. In: Die Religionen und das Essen. Hg. v. Perry Schmidt-Leukel. Kreuzlingen: Heinrich Hugendubel S. 145-202.

Spencer, Colin (1994): The heretic’s feast: A history of vegetarianism. Fourth Estate Ltd.

Online-Quellen