Das neue Positionspapier der DGE zur veganen Ernährung
Das neue Positionspapier der DGE zur veganen Ernährung
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat ihre Position zur veganen Ernährung geändert. Mit ihrem brandneuen Positionspapier legt sie eine komplette Neubewertung vor. Darin hält sie fest, dass eine vegane Ernährung für gesunde Erwachsene als gesundheitsfördernd bezeichnet werden kann, sofern auf eine ausgewogene, gut geplante Lebensmittelauswahl, die Supplementierung von Vitamin B12 sowie die Deckung weiterer kritischer Nährstoffe geachtet wird. Zudem betont sie, dass eine vegane Ernährung als äußerst umweltfreundlich anzusehen ist und eine empfehlenswerte Maßnahme zur Verringerung der Umweltbelastungen des Ernährungssystems darstellt. Für vulnerable Bevölkerungsgruppen gibt es zwar nach wie vor keine explizite Empfehlung für eine vegane Ernährung, aber mittlerweile auch kein ausdrückliches Abraten davon.
Gut fürs Klima und für die Umwelt
Erstmals hat die DGE im Rahmen der veganen Ernährung nicht ausschließlich gesundheitliche Aspekte, sondern alle vier Zieldimensionen einer nachhaltigeren Ernährung betrachtet. Neben Umweltaspekten, die ausführlich diskutiert werden, sind dies die Dimensionen Soziales sowie Tierwohl. Die DGE kommt zu dem Schluss, dass eine vegane Ernährung im Vergleich mit den derzeitig vorherrschenden omnivoren Ernährungsweisen als äußerst umweltfreundlich anzusehen ist und dass insbesondere das enorme Potenzial zur Senkung der Treibhausgasemissionen vielfach belegt ist. Bei den Zieldimensionen Tierwohl und Soziales sind die bisherigen Bewertungsansätze zur Auswirkung von Ernährungsweisen noch nicht ausreichend etabliert, weshalb sie nicht umfassend angewendet werden können. Die DGE geht allerdings auf einige ausgewählte Aspekte wie die Bezahlbarkeit von Lebensmitteln ein. Im Zuge dessen erläutert sie, warum eine vegane Ernährung – entgegen häufiger Vorurteile – nicht unbedingt teurer als eine omnivore Ernährung sein muss.
Einige gesundheitliche Vorteile und ein mögliches Risiko
Zur Bewertung der gesundheitlichen Aspekte wurde ein sogenanntes „Umbrella-Review“ durchgeführt, also eine systematische Übersichtsarbeit von systematischen Übersichtsarbeiten. Dabei handelt es sich um eine Arbeit mit höchster Evidenzstufe. Zusätzlich hat die DGE ein ergänzendes systematisches Review durchgeführt und noch weitere Publikationen berücksichtigt.
Die Ergebnisse des Umbrella-Reviews zeigen günstige Zusammenhänge bei gesunden Erwachsenen im Hinblick auf die kardiometabolische Gesundheit. Hierzu zählen unter anderem günstigere Blutfett-, Blutdruck- und Nüchternblutzuckerwerte sowie ein niedrigeres Risiko für koronare Herzerkrankungen. Zudem zeigte sich ein reduziertes Risiko für Krebserkrankungen sowie eine Tendenz zu einer niedrigeren Gesamtmortalität von Veganer:innen im Vergleich mit Allesesser:innen. Bei letzterem handelt es sich um ein Maß für die Gesamtzahl der Todesfälle in einer bestimmten Personengruppe bezogen auf einen bestimmten Zeitraum.
Andererseits gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine schlechtere Knochengesundheit bei veganer Ernährung.
Anzumerken bleibt, dass die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse als überwiegend sehr niedrig bis niedrig eingestuft wurde, was unter anderem an einer hohen Heterogenität liegt. Das bedeutet, dass beispielsweise große Unterschiede in den Studienkollektiven oder in Bezug auf die methodische Vorgehensweise vorliegen.
Nährstoffversorgung: Teilweise besser, teilweise schlechter als bei Allesesser:innen
Bei der Nährstoffversorgung muss zwischen der Zufuhr und dem Versorgungsstatus anhand von Biomarkern in Blut oder Urin unterschieden werden, da die Bioverfügbarkeit einzelner Nährstoffe aus pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln verschieden sein kann.
Nährstoffzufuhr bei Veganer:innen im Vergleich mit Allesesser:innen:
- Durchschnittlich höhere Zufuhr bei: Kohlenhydraten, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Omega-3-Fettsäuren, Alpha-Linolensäure, Ballaststoffen, Vitamin E, Thiamin, Vitamin B6, Folat, Vitamin C, Magnesium und Eisen
- Durchschnittlich niedrigere Zufuhr bei: Energie, Fett, gesättigten und einfach ungesättigten Fettsäuren, Protein, Kalzium, Jod, Zink, Docosahexaensäure (DHA), Eicosapentaensäure (EPA) sowie Vitamin B12, Vitamin D und Selen
- Ähnlich hohe Zufuhr bei: Vitamin A (bzw. dessen Vorstufen), Vitamin B2, Niacin und Phosphor
Versorgungsstatus bei Veganer:innen im Vergleich mit Allesesser:innen:
- Besser versorgt mit: Vitamin B1, Vitamin C
- Schlechter versorgt mit: Vitamin B12, Zink
- Ähnlich hoch: Vitamin A (Beta-Carotin und Retinol im Serum oder Plasma), Vitamin E, Vitamin B6 und Magnesium
- Niedriger als bei Allesesser:innen, aber ähnlich hoch wie bei vegetarischer Ernährung: Vitamin D, Eisen (Ferritin im Serum oder Plasma)
Vulnerable Bevölkerungsgruppen: Keine Empfehlung für oder gegen eine vegane Ernährung
Eigens betrachtet wird die vegane Ernährung in den vulnerablen Bevölkerungsgruppen Kinder, Jugendliche, Schwangere, Stillende und Senior:innen. Aufgrund der nach wie vor limitierten Datenlage möchte die DGE keine eindeutige Empfehlung für oder gegen eine vegane Ernährung in diesen Lebensphasen aussprechen. Diese Formulierung ist deutlich weniger kritisch als die bisherige, laut der eine vegane Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit sowie im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter nicht empfohlen wurde. Die DGE betont jedoch nach wie vor, dass bei einer veganen Ernährung in diesen Gruppen besonders fundierte Ernährungskenntnisse vorliegen müssen. Für vegane Senior:innen gibt es bisher noch keine umfangreiche Erhebung.
Neuigkeiten bei den potenziell kritischen Nährstoffen
Auf die Zufuhr potenziell kritischer Nährstoffe sollte gezielt geachtet werden. Neben Vitamin B12 gehören hierzu Jod, Protein, langkettige Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Vitamin B2, Kalzium, Eisen, Zink und Selen.
Neu ist, dass die DGE zusätzlich zu Vitamin B12 auch Jod eine Sonderstellung zuspricht. Dieses gilt zwar auch bei einer omnivoren Ernährung als kritisch, die Versorgung bei einer veganen Ernährung dürfte aber noch niedriger ausfallen. Neben einer Supplementierung von Vitamin B12 sollte also gezielt auf die ausreichende Jodzufuhr in Form von jodiertem Speisesalz, Algen und gegebenenfalls Supplementen geachtet werden.
Neu ist zudem, dass die DGE die Versorgung mit Vitamin A bei veganer Ernährung als unklar einstuft und darauf hinweist, dass diese zukünftig weiter untersucht werden muss. Möglicherweise könnte Vitamin A einen weiteren potenziell kritischen Nährstoff darstellen. Die DGE erklärt jedoch, dass eine adäquate Vitamin-A-Versorgung bei veganer Ernährung prinzipiell durch die alleinige Zufuhr von Provitamin-A-Carotinoiden durch die körpereigene Umwandlung zu Vitamin A möglich ist. Insbesondere bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen könnte die Umsetzung herausfordernd sein, da hierfür relativ große Mengen Provitamin-A-reicher Lebensmittel benötigt werden. Weitere Forschung ist also notwendig.
Gesamtbewertung und Handlungsempfehlungen
Die DGE weist ausdrücklich darauf hin, dass weder vegane noch andere Ernährungsformen pauschal bewertet werden können. Relevant für die Bewertung sind die individuelle Lebensmittelauswahl sowie die Versorgung mit (potenziell) kritischen Nährstoffen.
Abschließend gibt die DGE stichpunktartig Handlungsempfehlungen für eine gesundheitsfördernde vegane Ernährung. Wichtig sind eine ausgewogene Lebensmittelauswahl, die Supplementierung von Vitamin B12 sowie die Deckung aller weiteren potenziell kritischen Nährstoffe. Zusätzlich werden konkrete Empfehlungen für vegane Schwangere, Stillende und Säuglinge gegeben. Die DGE weist explizit darauf hin, dass Fachkräfte aus dem Ernährungs- und Gesundheitsbereich gegenüber Personen, die sich oder ihre Kinder vegan ernähren möchten, eine offene Haltung einnehmen und ihnen die bestmögliche Unterstützung bei der Umsetzung einer ausgewogenen und gut geplanten veganen Ernährung bieten sollten. Zudem empfiehlt die DGE ausdrücklich ein größeres Angebot von gut geplanten veganen Speisen in der Gemeinschaftsverpflegung.
Unser Kommentar zur neuen Position
Die Neubewertung der veganen Ernährung durch die größte und wichtigste Fachgesellschaft für Ernährung im deutschen Sprachraum ist ein bedeutender Meilenstein für die Anerkennung und Verbreitung der veganen Ernährung. Die Arbeit der DGE erfolgt wissenschaftlich und unabhängig. Dementsprechend basiert auch ihre neue Position zur veganen Ernährung auf wissenschaftlichen Studien. Das speziell für die Bewertung durchgeführte Umbrella-Review garantiert einen komprimierten Überblick zur aktuellen Evidenzlage. Dieser Form von Studien wird die höchste Evidenzstufe zugeschrieben, die in der Medizin bzw. Ernährungswissenschaft derzeit möglich ist. Die Position wurde also nicht von weiteren Interessen wie dem Wunsch nach Vermarktung von tierischen Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln beeinflusst. Die Vorteile einer rein pflanzlichen Ernährung werden genauso sachlich wie mögliche Schwachstellen dargelegt und diskutiert.
Wir begrüßen es sehr, dass die DGE zeitgemäß agiert und in ihrer Neubewertung nicht nur die gesundheitlichen Aspekte, sondern alle vier Zieldimensionen einer nachhaltigeren Ernährung betrachtet. Bei politischen Publikationen und Entscheidungen wie dem Green Deal nimmt die landwirtschaftliche Sichtweise häufig eine wichtige Rolle ein. Die enormen ökologischen Vorteile, die eine pflanzliche Ernährung mit sich bringt, werden dadurch oft unzureichend betrachtet. Als unabhängige wissenschaftliche Fachgesellschaft stellt die DGE fundiert dar, dass die vegane Ernährung bei zahlreichen Indikatoren wie Landnutzung, Eutrophierung und Biodiversitätsverlust mit einer eindeutig geringeren Umweltbelastung als die übliche omnivore Ernährung verbunden ist. Besonders überzeugend sind die Vorteile in puncto Treibhausgasemissionen, da in allen betrachteten Studien ein recht einheitliches Reduktionsniveau von 69–81 % angeführt wurde. Auch wenn die Bewertungsansätze der Auswirkungen verschiedener Ernährungsweisen in Bezug auf Tierwohl bisher wenig etabliert sind und eine wissenschaftliche Bewertung daher schwierig ist, sind die Zusammenhänge derart naheliegend, dass die DGE davon ausgeht, dass eine vegane Ernährung hierbei am besten abschneiden würde.
Die DGE prägt mit ihren Ernährungsempfehlungen die Angebote in der Gemeinschaftsverpflegung sowie die Haltung von Fachkräften im Ernährungs- und Gesundheitssektor. Daher kann ihre Neubewertung in diesen Bereichen viel bewegen. Wir freuen uns ganz besonders über die diesbezüglichen gezielten Handlungsempfehlungen.
Die neue positive Haltung schlägt sich bereits in zahlreichen Medienberichten nieder, die mit Schlagzeilen wie „Warnung vor veganer Ernährung entfällt“ (TAZ) oder „Vegan werden? DGE: Kein Problem mehr!“ (DASDING/WDR) eine wichtige meinungsbildende Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Auch das Deutsche Ärzteblatt mit der bedeutenden Zielgruppe der Mediziner:innen hat bereits berichtet.
Bildquelle: Vanessa Loring/Pexels.com