Deutsche Gesellschaft für Ernährung setzt auf Nachhaltigkeit

Deutsche Gesellschaft für Ernährung setzt auf Nachhaltigkeit

15.06.2021

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ein Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung veröffentlicht. Darin erklärt sie ihr dezidiertes Ziel, eine nachhaltigere Ernährung sowohl zu fordern als auch zu fördern. Wir haben das Papier unter die Lupe genommen und uns angesehen, was die DGE unter einer nachhaltigen Ernährung versteht, wie stark sie dabei auf die Reduktion tierischer Produkte setzt und was das für zukünftige Ernährungsempfehlungen in Deutschland und Österreich bedeuten könnte.

Was ist eine „nachhaltige Ernährung“?

Eine nachhaltige Ernährung gilt als ein wesentlicher Teil einer nachhaltigen Entwicklung.

„Nachhaltige Ernährung ist eine Ernährung mit geringen Umweltauswirkungen, die zur Ernährungssicherheit und zum gesunden Leben heutiger und künftiger Generationen beiträgt. Nachhaltige Ernährung schützt und respektiert die biologische Vielfalt und die Ökosysteme, ist kulturell akzeptabel, zugänglich, wirtschaftlich fair und erschwinglich, ernährungsphysiologisch angemessen, sicher und gesund und optimiert gleichzeitig die natürlichen und menschlichen Ressourcen.“

Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), 2010

Auf europäischer Ebene soll eine nachhaltige Ernährung im Rahmen des sogenannten „Green Deals“, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden möchte, realisiert werden. Um entlang der gesamten Wertschöpfungskette die unterschiedlichen Zieldimensionen einer nachhaltigen Entwicklung umzusetzen, wurde die Strategie „From Farm to Fork“ („Vom Hof auf den Tisch“) konzipiert. Viel beachtet ist zudem die 2019 publizierte „Planetary Health Diet“ der EAT-Lancet-Kommission, die in ihren Empfehlungen auf das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen zurückgreift. Sie gilt derzeit international als Referenz für eine nachhaltige Ernährung.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hat 2020 in seinem Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten“ vier zentrale Zieldimensionen benannt: Gesundheit, Umwelt, Soziales und Tierwohl. Da die Darstellungen des Gutachtens zwar einen Weg hin zu einer nachhaltigeren Ernährung markieren, leider jedoch keine absolute Zielerreichung, wird auch im Positionspapier der DGE nur von einer „nachhaltigeren“, nicht aber einer nachhaltigen Ernährung gesprochen.

Die vier Zieldimensionen einer nachhaltigeren Ernährung

Dem Auftrag der DGE sowie ihrer Expertise entsprechend, stand und steht die Dimension Gesundheit bei ihren Aktivitäten im Vordergrund. Um eine nachhaltigere Ernährung umfassender zu realisieren, sollen künftig jedoch auch die Zieldimensionen Umwelt, Soziales und Tierwohl in den Aktivitäten der DGE berücksichtigt werden.

  • Zieldimension Gesundheit: Die DGE empfiehlt eine vollwertige Ernährung mit Betonung pflanzlicher Lebensmittel. Sie erstellt Referenzwerte für die Versorgung mit energieliefernden Nährstoffen sowie für die Zufuhr von Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und Wasser.
  • Zieldimension Umwelt/Klima: Die Ernährung trägt weltweit zu 25–30 Prozent der Treibhausgase bei. Den mit Abstand größten Anteil hat die Produktion tierischer Lebensmittel. So verursacht 1 kg Rindfleisch durchschnittlich ca. 12 kg CO2-Äquivalente, während die gleich Menge Linsen weniger als 1 kg produziert. Eine Ernährung mit überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln kann laut DGE einen großen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. 
  • Zieldimension Soziales: Der „soziale Fußabdruck“, den Lebensmittel entlang der Wertschöpfungskette generieren, ist nur unzureichend erfasst und für Verbraucher:innen oft nicht oder nur schwer erkennbar. So entsprechen Entlohnung und Unterbringung von Erntehelfer:innen oft nicht dem Standard festangestellter Mitarbeiter:innen. Eine entsprechende Deklaration, ähnlich dem Fairtrade-Label, wäre wünschenswert. Die Bekämpfung von Ernährungsarmut und der Zugang aller zu einer gesundheitsfördernden, nachhaltigen Ernährung ist ein weiterer zentraler Aspekt.
  • Zieldimension Tierwohl: Im Sinne einer nachhaltigen Ernährung ist auch mehr Tierwohl notwendig. Dieses bezieht Aspekte der körperlichen und der psychischen Tiergesundheit ein. Dazu zählen unter anderem ausreichend Platz, Verzicht auf Amputationen und ein deutlich reduzierter Arzneimitteleinsatz. Das 2019 eingesetzte „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ empfiehlt einen grundlegenden und langfristigen Umbau der deutschen Nutztierhaltung. Tierwohllabel können ebenfalls zu einer Verbesserung beitragen. Eine Lebensmittelauswahl nach den Empfehlungen der DGE würde außerdem einen deutlich geringeren Verzehr von tierischen Produkten im Vergleich zum aktuellen Konsummuster in Deutschland entsprechen.

Vergleich: Planetary Health Diet vs. DGE-Empfehlungen für eine vollwertige Ernährung

Die von der EAT-Lancet-Kommission entwickelte Planetary Health Diet gilt international als Referenzernährung für die Umsetzung einer nachhaltigen Ernährung. Sie gibt einen Rahmen vor, um die zukünftige Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen im Jahr 2050 innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde mit einer gesundheitsfördernden Ernährung zu versorgen. Länderspezifische Anpassungen sind, ausgehend von diesen globalen Empfehlungen, erforderlich. Die DGE sieht die Planetary Health Diet in Summe als Expert:inneneinschätzung, die jedoch an manchen Stellen die wissenschaftlichen Begründungen für die ausgesprochenen Empfehlungen offenlässt.

Laut DGE zeigt die Planetary Health Diet viele Gemeinsamkeiten mit ihren eigenen Ernährungsempfehlungen für eine vollwertige Ernährung. Beide Ernährungsformen basieren auf einer Ernährung, die überwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln besteht und die Zufuhr gesättigter Fettsäuren, hochverarbeiteter Lebensmittel sowie zugesetztem Zucker einschränkt. Auch die Lebensmittelmengen der beiden Ernährungsempfehlungen sind ähnlich, etwa bei Gemüse, Obst und Fleisch. Unterschiede gibt es allerdings bei den Empfehlungen für Hülsenfrüchte, Nüsse sowie Milch und Milchprodukte. Als Begründung für die unterschiedlichen Angaben für Milch und Milchprodukte nennt die DGE die zugrundeliegende Kalziumzufuhr. Während in der Planetary Health Diet von einer Zufuhr von 500 mg pro Tag als adäquat für die globale Bevölkerung ausgegangen wird, empfiehlt die DGE für die Bevölkerung der deutschsprachigen Länder eine Zufuhr von 1000 mg pro Tag für Erwachsene (D-A-CH-Referenzwerte). Daher fallen die Orientierungswerte der DGE für den Milchkonsum deutlich höher aus als die Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission (DGE: 596-728 g Milch und Milchprodukte in Milchäquivalenten/Tag, Planetary Health: 0-500 g). Außerdem seien Milch und Milchprodukte in Deutschland eine wichtige Quelle für weitere kritische Nährstoffe wie z.B. Jod und Vitamin B2.

Die zentrale Herausforderung für beide Empfehlungen sieht die DGE darin, dass die tatsächlich verzehrten Lebensmittelmengen in Deutschland erheblich von diesen Empfehlungen abweichen. Somit besteht ein deutlicher Änderungsbedarf in der Ernährung der Bevölkerung und gleichzeitig ein großes Potenzial für einen Beitrag für eine nachhaltigere Ernährung.

Die "Planetary Health Diet" besteht vorwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln..

Die "Planetary Health Diet" empfiehlt eine (vorwiegend) pflanzliche Kost.

Faire Ernährungsumgebungen für eine nachhaltigere Ernährung

Um eine nachhaltigere Ernährung umzusetzen, bedarf es erheblicher Veränderungen auf der Seite der Verbraucher:innen. Trotz hohem Interesse gelingt es vielen nicht, ihre Ziele im Alltag umzusetzen, denn das Ernährungsverhalten ist nicht nur das Ergebnis von bewussten Entscheidungen, sondern auch von vorhandenen Angeboten und Gewohnheiten. Daher ist es wichtig, an diesen Schrauben zu drehen. Das betrifft etwa die Exposition gegenüber Lebensmittelreizen, Verfügbarkeit und Convenience von Informationen und Produkten, Preise und soziale Normen. Die DGE möchte beispielsweise durch Qualitätsstandards in der Gemeinschaftsverpflegung und die Kennzeichnung von Lebensmitteln dazu beitragen, faire Ernährungsumgebungen zu etablieren.

Fazit: Ein Schritt in die richtige Richung?

Wir begrüßen es sehr, dass sich die DGE mit einer nachhaltigen Ernährung beschäftigt und ihre Empfehlungen für eine gesunde Ernährung um die Zieldimensionen Umwelt/Klima, Soziales und Tierwohl erweitert. Ihre Richtlinien und Empfehlungen gelten auch in Österreich als richtungsweisend im Bereich der Ernährung. In ihrem Positionspapier nennt die DGE viele wichtige Aspekte einer nachhaltigeren Ernährung und deren Umsetzung. Schwer nachvollziehbar ist jedoch, warum sich die DGE auf Empfehlungen für eine nachhaltigere Ernährung beschränkt und, wie sie selbst schreibt, keine Zielerreichung anstrebt. Nur eine wirklich nachhaltige Ernährung hat so geringe Umweltauswirkungen, dass sie für die Ernährungssicherheit und ein gesundes Leben sowohl heutiger als auch künftiger Generationen Sorge trägt. Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, unsere Klimaziele umzusetzen, erreichen wir Kippelemente im Klimasystem, die zu schnellen und unumkehrbaren Veränderungen des Erdklimas führen. Die Planetary Health Diet zeigt, wie es möglich ist, 10 Mrd. Menschen im Jahr 2050 innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde mit einer gesundheitsfördernden Ernährung zu versorgen. Es wären problemlos entsprechende Anpassungen möglich, um die Versorgung mit kritischen Nährstoffen auch in Deutschland und Österreich sicherzustellen. Eine Kalziumzufuhr von 1000 mg kann beispielsweise durch die Integration angereicherter Pflanzenmilch, Tofu, grüner Blattgemüse sowie Nüsse und Samen erfolgen. Jod kann durch Algen und angereichertes Speisesalz zugeführt werden. Gute Quellen für Vitamin B2 sind unter anderem Hefeflocken, Pilze, Nüsse und Ölsaaten, Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide. Eine abwechslungsreiche, vollwertige vegane Ernährung ist gesundheitsfördernd und versorgt mit allen notwendigen Nährstoffen in ausreichender Menge. Wie zahlreiche Studien belegen, schneidet sie aus ökologischer Sicht am besten ab und kann somit bestmöglich dazu beitragen, eine nachhaltige Ernährung sicherzustellen und die Pariser Klimaziele zu erreichen.