Vorbilder in der veganen Gemeinschaftsverpflegung: Vegan im Altersheim? Pionierarbeit in Vorarlberg

Vorbilder in der veganen Gemeinschaftsverpflegung: Vegan im Altersheim? Pionierarbeit in Vorarlberg

05.09.2023

Die Häuser der Generationen in Vorarlberg – ein integratives Projekt mit Vorreiterrolle in der veganen Gemeinschaftsverpflegung. Dass eine vegane Option im Verpflegungsangebot kein Problem darstellen muss, zeigt das Konzept der Häuser der Generationen erfolgreich seit über fünf Jahren. Wie es der Name schon verrät, spricht das Konzept hinter den Sozialdiensten jede Generation an. Hier begegnen sich Kleinkinder, Schüler:innen, Jugendliche und hochbetagte Senior:innen. Die Angebote reichen von der Säuglingspflege und Elternberatung bis hin zum Senior:innenwohn- und Pflegeheim. Natürlich gehört zu einem solch vielschichtigen Gemeinschaftskonzept auch eine gute Verpflegung, die alle an einen Tisch holt. Das schaffen die Häuser der Generationen definitiv – und zwar vegan!

Täglich eine rein pflanzliche Menüalternative anbieten – das scheint für viele Einrichtungen und Anbieter:innen immer noch ein unmöglicher Schritt zu sein. Die Häuser der Generationen haben es einfach gemacht und stellen ein positives Praxisbeispiel dar, von dem sich einige Gemeinschaftsküchen etwas abschauen können. Wir wollten das Konzept genauer kennenlernen und haben mit dem Geschäftsführer der Sozialdienste, Achim Steinhauser, und dem Küchenchef der Großküche, Klaus Gröber, ein Interview geführt, um gemeinsam mit ihnen einen Blick in die Töpfe zu werfen.

Begonnen hat die Geschichte der Häuser der Generationen (HdG) im Jahr 2002 mit der Transformation der Sozialeinrichtungen unter direkter Gemeindeverwaltung in eine eigene Gesellschaft, die Sozialdienste Götzis GmbH. Der nächste Meilenstein war der Zusammenschluss mit der Gemeinde Koblach 2016. Was war der Antrieb für dieses generationen- und gemeindeübergreifende Konzept?

Achim Steinhauser: Die Kummenbergregion hatte zu dem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren ein übergreifendes räumliches Entwicklungskonzept, da die Region immer auch als sozialer Entwicklungsraum mitgedacht worden ist. Regionalität wurde hier als Wert seit jeher großgeschrieben. Es ist uns wichtig, Menschen aus der Region zusammenzubringen und einzubinden. Aus dieser Tradition ging die Kooperation der Sozialdienste zwischen Götzis und Koblach als ein Projekt hervor. Dieser Prozess startete bereits vor 2016. Wir wollten damit auch einen ressourcenschonenden Ansatz bieten.

Wie würden Sie die Vision hinter den HdG in einem Satz beschreiben?

Achim Steinhauser: Nun ja, unser offizieller Slogan lautet aktuell „Menschen schaffen Freude“. Wichtig und zentral dabei sind für uns immer die Menschen gewesen, die in unserer Region arbeiten und leben – Stakeholder:innen und Lieferant:innen eingeschlossen. „Schaffa“, das bedeutet in Vorarlberg „Arbeit“ und in der Kunst ist das „Schaffen“ ein „Kreieren“. Wenn man mit Menschen arbeitet, entwickelt man etwas Schönes, es bedeutet aber auch immer Arbeit. Wir möchten Schönes schenken, ob mit Essen oder im täglichen Umgang und Miteinander.

Auch das Essensangebot der HdG hat seine ganz eigene Geschichte und interessiert uns an dieser Stelle natürlich ganz besonders. Neben dem regulären Menüplan gibt es bei Ihnen standardmäßig immer auch einen veganen Menüplan. Damit stellen Sie ein beispielloses Vorbild für soziale Einrichtungen in Österreich dar. Wie kam es dazu, dass Sie diesen Weg eingeschlagen haben?

Achim Steinhauser: Die Grundidee war, dass wir immer mehr Kund:innen, vor allem Kinder, mit gewissen Intoleranzen hatten. Zuerst kam uns dann die Idee, vornehmlich auf Laktose- und Glutenintoleranz einzugehen. Die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, hat uns schnell zu veganen Produkten geführt, da diese viele Bedürfnisse abdecken. Mittlerweile sind auch Nachhaltigkeitsaspekte hinzugekommen – vegan ist für mich das neue Vegetarisch.

Wann kam vegan auf den Plan? Und wie wurde diese neue Linie von der Belegschaft angenommen – sowohl aus Herstellungs- als auch Konsument:innensicht?

Achim Steinhauser: Ungefähr vor fünfeinhalb Jahren. Das Ganze hat sich eher schleichend ergeben und ging nicht von heute auf morgen. Was unsere Belegschaft betrifft, waren nicht vegane Mitarbeiter:innen anfangs skeptisch. Mittlerweile sind jedoch auch sie offen, eine vegane Variante zu testen – mit dem Fazit, dass es eigentlich nicht schlechter als die „herkömmliche“ Version schmeckt.

Klaus Gröber: Als wir das Ganze gestartet haben, war es mehr nach dem Prinzip „Trial and Error“. Es gibt ja keine Ausbildung für vegane Köch:innen und damals gab es auch noch keine passenden Weiterbildungsmöglichkeiten. So haben wir anfangs Gerichte genommen, die wir bisher auf dem Speiseplan hatten, und versucht, vegane Varianten dafür zu entwerfen. Beispielsweise wurde die Fleischsuppe durch vegane Gemüsebrühe ersetzt und bildete ab da die Grundlage. Das Wichtigste war, dass unser Kernküchenteam mit im Boot war.

Für unsere Konsument:innen war es am Anfang durchaus eine Umstellung und ein Gewöhnungsprozess. Gerade unser klassischer Kund:innentyp – Senior:innen – war natürlich die Rindsbrühe gewohnt. Mittlerweile wird die Alternative wirklich gut angenommen, vor allem von Betreuer:innen in Kindergärten und Schulen.

Tatsächlich war und ist die logistische Herausforderung der größte Part, da wir viel Essen verschicken. Dort spüren wir den Mehraufwand am ehesten. Es gibt kein „Entweder-Oder“ bei uns für die verschiedenen Einrichtungen – sie können von beiden Menüs die gewünschte Anzahl wählen. Dadurch beliefern wir der Nachfrage entsprechend. Da wir warm ausliefern, ist es uns wichtig, dass auch die veganen Speisen noch nach etwas aussehen, wenn sie ankommen.

Die Zielgruppe der Einrichtungen ist groß und steckt bereits im Namen. Das Angebot richtet sich an Jung und Alt, für jede Lebensphase ist etwas dabei. Erleben Sie Unterschiede in der Nachfrage des veganen Menüs je nach Altersgruppe?

Achim Steinhauser: Bei Essen auf Rädern steigt die Nachfrage mittlerweile. Insgesamt wird das vegane Gericht jedoch eher von jüngeren Personen angefragt. Von täglich ca. 600 sind etwa 40 Menüs vegan. In der Altersgruppe 60/70+ sind ungefähr fünf darunter, die die vegane Option täglich beziehen.

Klaus Gröber: Bei unserem Angebot für die Kinderverpflegung gilt grundsätzlich: zweimal Fleisch, dreimal vegetarisch in der Woche. Einige Kindergärten entscheiden sich auch bewusst für einen rein veganen Tag in der Woche. Von Eltern und Betreuer:innen erleben wir dahingehend zunehmend mehr Offenheit und Bewusstsein, vor allem, wenn es um Tierwohl und Nachhaltigkeit geht.

Sie haben sowohl ein Essensangebot im Haus – den „offenen Mittagstisch“ – als auch eine ambulante Verpflegung – das „Essen auf Rädern“. Beide Formate sind für alle Zielgruppen offen, sollen jedoch primär in besonderen Lebenslagen unterstützen, etwa bei Pflege, Krankheit oder Kinderbetreuung. Nehmen Sie abhängig davon, ob am „offenen Mittagstisch“ gegessen oder „Essen auf Rädern“ genutzt wird, eine unterschiedliche Nachfrage der veganen Option wahr?

Achim Steinhause: Kindergärten und die Schüler:innenbetreuung beanspruchen bei uns mehr als die Hälfte der ausgelieferten Essen. An unsere Pflegeheime und das betreute Wohnen gehen ca. 170 Essen und ungefähr 60–70 Essen fallen für „Essen auf Rädern“ an. Das heißt, der Rest der grob 600 Essen am Tag wird von Kindern gegessen.

Klaus Gröber: Der Vorteil des Mittagstischs in den Häusern in Koblach und Götzis ist vor allem der, dass noch einmal in der Wahl „geswitched“ werden kann, was immer wieder zu beobachten ist: Manche sehen die vegane Option bei Kolleg:innen und denken sich, dass sie das auch mal probieren könnten. Wir sehen unsere Rolle darin, auch zu enttabuisieren, was vegane Ernährung heißt und bieten kann, und darin, dass vegane Ernährung auch ein „Gaumenschmaus“ sein kann. In Vorarlberg gibt es beispielsweise das traditionelle Essen „Riebel“, das es nun öfter als vegane Menüvariante gab. Das haben dann einige noch als Nachtisch genommen und mussten zugeben, dass es kaum vom Original zu unterscheiden war.

Als weiteres Beispiel kann man auch die heutigen Mittagsgerichte nennen: Zum einen gab es Rindfleischgemüseeintopf mit Polenta und als vegane Option hatten wir Falafel im Fladenbrot mit Gurke, Tomaten und Salat angeboten. Letzteres ist eher für Kinder und Schüler:innen ausgelegt (heute dadurch knapp 300 vegane Essen ausgeliefert), während es für Senior:innen schwieriger zu essen wäre. Da zeigt sich aber auch der kreative Spielraum, wenn die Zielgruppe so divers ist und nicht nur klassisch und mit Fleisch gekocht wird.

Achim Steinhauser: Ein Punkt ist auch, dass gerade Gerichte aus dem arabischen Raum oft sowieso vegan sind. Wir haben mittlerweile doch einige Kund:innen mit Migrationshintergrund, wodurch dies für sie auch nichts Neues darstellt. Damit können wir zusätzlich dem allgemeinen Integrationsauftrag entsprechen und Vielfalt auch übers Essen leben.

 

 

Küchenchef Klaus Gröber

Ein häufiges Argument gegen die Integration veganer Speisen in den Menüplan von Großkantinen ist der planerische Aufwand. Die verbreitete Befürchtung ist, dass ein zusätzliches veganes Angebot mehr Kochaufwand bedeute, da vegane Gerichte häufig komplizierter seien. Welche Erfahrungen machen Sie täglich damit?

Klaus Gröber: Jedes zusätzliche Menü ist Aufwand, aber das ist unabhängig davon, ob es vegan ist oder sich in einer anderen Weise unterscheidet. Ich weiß nie ganz, was diese Frage soll. Bei uns sind zum Beispiel alle Nudelprodukte sowieso ohne Ei, was manches unkomplizierter macht. So gibt es einige Möglichkeiten, wie man den Aufwand bei zwei Menülinien reduzieren kann.

Achim Steinhauser: Ich erzähle ganz gern die folgende Geschichte: Wir wurden einmal von einem befreundeten Küchenchef angerufen. Seine Aussage war: „Wieso macht ihr das?“ Die Antwort eines Küchenmitarbeiters: „Ja, weil wir es können.“  Wenn man den Willen und die Ideen hat, dann ist das auch in eine überzeugte fleischessende Küchencrew integrierbar. Anfänglich begegneten wir auch immer wieder gewissen Problematiken oder Mythen, wenn beispielsweise der Belegschaft, etwa im Service, noch nicht ganz bewusst war, was vegan heißt. Da kam dann schon noch vor, dass man Aussagen wie „Aber Fisch geht schon, oder?“ oder „Und Parmesan?“ hört. Aber mittlerweile haben alle gelernt: Nein, das geht nicht.

Wer ist an der Ausarbeitung der veganen Menülinie beteiligt (gewesen)?

Klaus Gröber: Die Küche. Neue Rezepte haben wir vor allem in den Küchenmeetings entworfen und besprochen. Der Geschäftsführer (Achim Steinhauser) war und ist unser bester Testesser. Anfangs war nicht alles köstlich, aber es ist einfach auch ein Prozess, eine „Experimentierküche“. Gerade was gewisse Ersatzprodukte betrifft, um z. B. für die Bindung mit Ei einen Ersatz zu finden, mussten wir viel herumprobieren, z. B. für unser Spätzlerezept. Wir haben keine Ausbildung in der veganen Küche und sind einfach ins kalte Wasser gesprungen. Aber es muss natürlich am Ende auch lecker sein – bis dorthin war es schon ein Weg, weil es uns wichtig ist, dass keine Fertigsachen reinkommen, sondern dass alles frisch gekocht wird. Natürlich verwenden wir manchmal fertige Fleischersatzprodukte, dann kommen beispielsweise Sojaschnetzel zum Einsatz.

Regionalität spielt bei Ihnen eine große Rolle. Was bedeutet das für die Gestaltung der veganen Gerichte?

Klaus Gröber: Regionalität hat einen hohen Stellenwert bei uns. Wir beziehen so viel wie möglich von Bäuer:innen aus der Umgebung. Dazu gehören zwei reguläre Gemüsebiobäuer:innen, die uns beliefern, genauso Kartoffelbäuer:innen aus der Region, die uns das ganze Jahr über beliefern (10 Tonnen im Jahr!), aber auch andere Gemüsebäuer:innen, die uns auf Abruf kontaktieren, wenn sie eine Überproduktion haben.

Gibt es Herausforderungen, denen Sie in der Umsetzung des veganen Menüs begegnet sind?

Klaus Gröber: Gerade die Logistik stellt uns immer wieder vor Herausforderungen. Wir machen Warmauslieferungen, was bedeutet, dass es immer wieder eine Gratwanderung ist, dass das Essen auch nach einer Stunde noch gut aussieht.

Ihre Erfahrungen sind wertvoll und dienen als positives Praxisbeispiel. Was würden Sie anderen Einrichtungen raten und mit auf den Weg geben, die ebenfalls eine vegane Option umsetzen möchten?

Klaus Gröber: Einfach machen! Nicht überlegen, machen! Manchmal verkopft man sich zu viel. Einfach ausprobieren, Trial and Error – sind der Wille und der Rückenwind da, dann klappt das auch. Es ist wie eine zweite Menülinie, nur etwas anders. Auch aus der Kochperspektive ist es toll, Neues ausprobieren zu können, und gerade im veganen Bereich kann man sehr kreativ werden. Da macht der Beruf noch mehr Spaß!

Vielen Dank!
 

Einen Einblick in die veganen Speisepläne der Häuser der Generationen erhalten Sie hier:

Speiseplan Kalenderwoche 22

Speiseplan Kalenderwoche 23