Kälber in der Milchindustrie – Leben und Sterben für das „weiße Gold“

Kälber in der Milchindustrie – Leben und Sterben für das „weiße Gold“

27.04.2022

Mütter versorgen mit Milch ihre Kinder in der ersten Lebensphase. Sie liefern ihnen mit ihr alle wichtigen Nährstoffe und schützen sie vor Krankheiten. Milch könnte daher durchaus „weißes Gold“ genannt werden. Die Bezeichnung stammt jedoch aus der Milchindustrie und spielt auf das lukrative Geschäft mit der Muttermilch einer anderen Spezies an. Kuhmilch wird als natürliches Lebensmittel dargestellt, deren Bestimmung der menschliche Konsum sei. Sie ist jedoch – wie jede andere Muttermilch – für den eigenen Nachwuchs bestimmt. So kann man sich fragen: Wie leben Kälber in der Landwirtschaft, wenn ihre Muttermilch nicht ihrer eigenen Ernährung, sondern jener von Menschen dient?


Kalb in der Landwirtschaft. (c) Jo-Anne McArthur/We Animals Media

Kreislauf von Schwangerschaften und Geburten

Ein weibliches Rind wird mit etwa 1,5 Jahren zum ersten Mal befruchtet. Nach einer Schwangerschaft von 9 Monaten bringt sie ihr Kalb auf die Welt. Ab diesem Zeitpunkt gibt sie Milch. Damit die Milchmenge auf einem künstlichen Hoch gehalten wird, muss die Kuh im Jahresrhythmus ein Kalb gebären. Zudem wurden sogenannte Milchkühe auf Höchstmengen Milch gezüchtet. Beispielsweise werden einer Kuh in Österreich heute 7.300 Kilogramm Milch pro Jahr genommen, während sie Mitte des 20. Jahrhunderts nur ein Viertel hergestellt hat. Gesundheitlich leiden die Kühe unter ihren Dauerschwangerschaften sowie unter zucht- und haltungsbedingten Krankheiten.

Kälber als Abfallprodukte der Milchindustrie

Das Geschäft mit der Milch erfordert es also, dass einerseits laufend Kälber geboren werden und andererseits sie nie ihre Muttermilch trinken. So entsteht schnell ein Überschuss an Jungtieren, der unterschiedlich adressiert wird: Männliche Kälber werden entweder sofort getötet und entsorgt, der Mast im Inland oder einem Export ins Ausland zugeführt. Weibliche Kälber können zudem wie ihre Mütter als Milchmaschinen verwendet werden. Das Alter der Tiere zu ihrem Todeszeitpunkt beträgt jedenfalls einen Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung. Tierkinder, die als Kalbfleisch am Teller landen, werden etwa 22 Wochen anstelle von 20 Jahren alt.

Schmerzhafte Trennung von Mutter und Kind

Wenige Momente, Stunden oder Tage nach der Geburt werden Kuh und Kalb voneinander getrennt. Der Kuh wird angetan, was im Falle von Menschen und anderen Säugetieren als grausam erkannt wird: Nach einer physisch und psychisch herausfordernden Phase von Monaten der Schwangerschaft und Stunden der Geburt wird ihr das Natürlichste der Welt verwehrt: die Sorge um das eigene Kind. Die emotionale Tortur der Trennung von Mutter und Kind führt dazu, dass beide tagelang nacheinander rufen. Die Rufe voller Klage und Schmerz sind am Land in der Nähe von Milchbetrieben kein unbekanntes Geräusch.

Allein auf einem Quadratmeter

Nachdem das Kalb von seiner Mutter getrennt wurde, kommt es meist in sogenannte Kälberiglus oder -hütten. Auf etwa einem Quadratmeter eingesperrt, verbringen die Kälber ihre ersten Lebenswochen allein – nur ein Sicht- und Berührungskontakt zu Artgenossen muss vorhanden sein. Man kann sich vorstellen, welche Qual die Trennung von der Mutter sowie die Abtrennung zu anderen Kälbern für die jungen Tiere ist. Zudem stecken Kälber voller Neugierde und Bewegungsfreude, die sie in den kleinen Einzelbuchten nicht einmal annähernd ausleben können.

Einmal um die halbe Welt

Jährlich werden etwa 50.000 Kälber aus Österreich in andere Staaten transportiert. Der eiskalte Grund: Die Mast ist in anderen Staaten günstiger als in Österreich. Laut EU-Verordnung dürfen Kälber 18 Stunden transportiert werden – mit einer einstündigen Pause und artgerechter Versorgung. Jedoch haben Recherchen des Vereins Gegen Tierfabriken mehrmals gezeigt, dass nicht nur die Pausen oft ignoriert und die Transportdauer systematisch überschritten werden, sondern auch, dass die Kälber nicht adäquat mit Milch oder Milchaustauschern versorgt werden. Die Transporte sind aus diesen Gründen somit illegal. Sie rollen trotzdem weiter quer durch die EU – Spanien und Italien zählen zu den häufigsten Destinationen. Für einige Tiere geht es nach einigen Monaten Mast in Südeuropa weiter nach Nordafrika oder in den Nahen Osten. Die horrende Schiffsfahrt über das Mittelmeer dauert mehrere Tage bis zwei Wochen. So reisen die Kälber einmal um die halbe Welt, damit Menschen ihre Milch trinken und ihr Fleisch essen können – zu einem minimalen Preis, auch wenn dies maximales Tierleid bedeutet.

Wo Kuh und Kalb Mutter und Kind sein dürfen

Wie eine Mensch-Tier-Beziehung ohne Ausbeutung und mit Respekt aussehen kann, zeigen Lebenshöfe. Tiere finden dort ein Zuhause bis zu ihrem natürlichen Lebensende und können ihre Bedürfnisse bestmöglich ausleben. Am steirischen Lebenshof „Kuh und Du“ dreht sich alles um Rinder und dort wird deutlich, wie stark die Mutter-Kind-Beziehung unter Rindern ist. Die Lebenshofgründerin Katharina Steindl erzählt über die Vorgeschichte der Kuh Rosa: „Als ihr erstes Kalb verkauft wurde, hatte sie drei Tage lang getrauert, geweint und verzweifelt gerufen. Die Trauer war zu viel, sie nahm stark ab und wollte mit Menschen noch weniger zu tun haben als zuvor.“ Rosa hat abermals ein Kalb erwartet, als sie ihren Lebensplatz bei „Kuh und Du“ erhalten hat: „Als sie im Mai dann ihr zweites Kalb komplett selbstständig bekam, war sie voller Glück. Rosa ist eine sehr neugierige Kuh und eine fabelhafte Mutter.

Lebenshöfe in Österreich
Eine Übersicht über diesen und weitere Lebenshöfe in Österreich findet sich unter www.vegan.at/lebenshof.

Mutter Rosa mit Sohn Skotty am Lebenshof Kuh und Du (c) Kuh und Du

Milch für Menschen

Kuhmilch ist ein exzellentes Beispiel, dass nicht nur Fleisch, sondern alle tierlichen Lebensmittel einer eiskalten Produktionslogik unterliegen und ebenso eiskalt die Bedürfnisse von überaus empfindsamen Lebewesen ignoriert werden. Wir alle, denen Tierleid zu Herzen geht, können uns beim Einkauf die einfache Frage stellen: Bin ich ein Kalb? Nein? Dann greife ich zur großen Vielfalt an Pflanzenmilch! Denn Kuhmilch ist für Kälber bestimmt.