Alles im grünen Bereich: Chancen für das Grünland ohne Tierhaltung
Alles im grünen Bereich: Chancen für das Grünland ohne Tierhaltung
Das Grünland – Wiesen, Weiden und Almen – wird in Österreich traditionell mit der Haltung von Rindern und Schafen in Verbindung gebracht. Doch angesichts der Klimakrise stellt sich die Frage: Kann Grünland auch ohne Tiere nachhaltig genutzt werden? Wir nehmen verbreitete Mythen rund ums Thema Wiesen und Almen unter die Lupe und stellen vielversprechende Alternativen vor.
© Pixabay
Mythos 1: „In Österreich stehen alle Kühe auf der Wiese.“
Glückliche Kühe grasen auf weitläufigen Almen – ein idyllisches Bild, das unsere Vorstellung von der österreichischen Land(wirt)schaft prägt. Tatsächlich gaben 2020 gut 70 % der Betriebe, die sogenanntes „Milchvieh“ halten, für ihre Tiere regelmäßigen Weidegang an. „Regelmäßig“ bedeutet allerdings drei bis maximal sechs Monate im Jahr; mindestens ein halbes Jahr stehen die Kühe also auch hier im Stall.
Bei sogenannter „Masttierhaltung“ sehen die Zahlen noch düsterer aus: Insgesamt 90 % der Tiere werden in Ställen gehalten, davon 25 % in Anbinde- und Kombinationshaltung. Trotz dem seit 2020 geltenden Verbot werden sie in manchen Fällen immer noch dauerhaft angebunden, da es bis 2030 eine Übergangsfrist gibt.
Bei Laufstallhaltung (65 %) können sich die Rinder im Stall zumindest frei bewegen. Nur 1 % der österreichischen „Mastrinder“ wird ganzjährig im Freien gehalten.
Zudem entsteht durch die Verdauungsvorgänge der Rinder in rauen Mengen Methan, eines der klimaschädlichsten Gase. Damit ist die Rinderhaltung bei weitem nicht so ökologisch, wie es uns die Werbung und die Milchlobby weismachen möchten.
Mythos 2: „Wiesen in alpinen Gegenden sind ausschließlich für die Tierhaltung geeignet.“
Grünland bietet mehr als Futter für Tiere. Ein spannendes Forschungsfeld ist die sogenannte Bioraffination, bei der Grünpflanzen in ihre Bestandteile zerlegt werden. Gras lässt sich so in wertvolle Proteine, Fasern und andere Rohstoffe umwandeln. Diese Proteine eignen sich nicht nur als Futtermittel, sondern auch für die menschliche Ernährung (siehe unten).
Österreichs Grünland bietet enormes Potenzial: Rund 80 % der 2,4 Millionen Hektar werden aktuell für Futtermittel genutzt. Eine direkte Nutzung für die Lebensmittelproduktion könnte die Proteinausbeute deutlich steigern. Gras wächst auch in Hanglagen, die oft als schwer nutzbar gelten, und könnte so neue Flächen für die Ernährung erschließen.
Außerdem ist auch in höheren Lagen gärtnerisch einiges möglich: In Österreich und der Schweiz werden im Rahmen von mehreren Permakultur-Projekten in alpinen Höhen erfolgreich Gemüse, Obst und Kräuter angebaut. Geschickt angepasst an die besonderen Bedingungen und in Mischkulturen gepflanzt, gedeihen so auch hier Mangold, Sellerie, Kapuzinerkresse und Co. Zudem kann Grünland in alpiner Lage auch wieder aufgeforstet werden, um als CO2-Speicher zu dienen.
Mythos 3: „Ohne Weidehaltung gehen die Almen verloren.“
Müssen wir uns vom idyllischen Bild blühender Almwiesen verabschieden, wenn dort keine Rinder mehr weiden? Hier heißt es genauer hinschauen: Wie sind Almen eigentlich entstanden? Dort, wo heute Almen sind, war früher Wald. Erst durch Rodungen konnten die Hänge für die Weidehaltung nutzbar gemacht werden. Almen sind somit ein menschengemachter Kulturraum und nicht per se „natürlich“ oder „schon immer da“.
Zudem ist die Beweidung bei weitem nicht immer im Sinne des Naturschutzes: Werden Flächen ungleich stark genutzt, führt dies stellenweise zu Überdüngung, erhöhter Erosionsgefahr oder sogar zur Gefährdung geschützter Pflanzenarten. Zum einen könnte sich mit dem Ende der Weidehaltung also wieder Wald ausbreiten, der – ein zusätzlicher Klimavorteil – große Mengen an Kohlendioxid binden kann. Zusätzlich könnten Teile der jetzigen Almen erhalten werden – zum Anbau von Gräsern für die menschliche Ernährung und als Lebensraum für Insekten, Vögel und zahlreiche Wildpflanzen.
Eiweiß von der Wiese: Gras als Proteinquelle
Gras als Lebensmittel? Was so klingt, als wollte sich jemand über vegane Ernährung lustig machen, könnte in Zukunft eiweißreiche Wirklichkeit werden: Der österreichische Umwelt- und Energieexperte Martin Mandl forscht an der Gewinnung von Proteinen aus biozertifiziertem Kleegras.
Die Idee dahinter: Eine Kuh bringt ausgewachsen mehrere hundert Kilo auf die Waage. Dabei besteht ihr Futter aus Gras und Heu – die Nährstoffe aus den grünen Halmen reichen dafür aus, dass die Kuh gesund zu ihrer vollen Größe heranwächst. Könnte man dieselben Nährstoffe dann nicht auch für Menschen nutzbar machen?
Menschen können Gras – anders als Rinder – nicht verdauen. Im Rahmen des EU-Projekts „farm4more“ werden in Michael Mandls Bioraffinerie daher Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen, aus der Biomasse extrahiert. Dabei wird das Gras zuerst gepresst, um Pflanzensaft zu gewinnen. Aus diesem werden Proteine extrahiert, die als Nahrungsmittelzusatz oder in der veganen Lebensmittelproduktion genutzt werden können. Der Prozess ist vollständig nachhaltig: Die Reststoffe werden zu Biogas verarbeitet, wodurch kein Abfall entsteht.
Pflanzenproteine direkt für den menschlichen Verzehr zu nutzen, spart Ressourcen, vermeidet Tierleid und ist klimafreundlich. Mit einem Eiweißgehalt von bis zu 25 % in der Trockenmasse ist Kleegras eine attraktive Alternative zu tierischem Fleisch, aber auch zu Soja und anderen pflanzlichen Proteinen.
Auch in anderen Ländern wie Dänemark und den Niederlanden wird an ähnlichen Verfahren geforscht. Christoph Geil, ein findiger deutscher Landwirt, experimentiert ebenfalls mit Proteinen aus Gras und hat daraus bereits Produkte wie Käse, Fleischlaibchen und Currywurst hergestellt.
Derzeit sind jedoch weder Gras noch Extrakte oder Produkte daraus in der EU als Lebensmittel für den menschlichen Verzehr zugelassen. Politische Förderung und Weitblick sind gefragt, um die Proteinwende voranzutreiben und den Weg für innovative Produkte zu ebnen.
Quellen und weiterführende Informationen
Alle Kühe stehen auf der Weide? Die Realität in Zahlen!
rinderzucht.at: Agrarstrukturerhebung
AMA Info: Milchkühe
AMA Info: Mastrinder
Global 2000: Fleischmythen
utopia.de: Landwirtschaftszählung
ndr.de: Die Kuh als Klimakiller
Alternativen: Permakultur im alpinen Raum
Gastrofacts: Permakultur
Naturhotel: Permakultur im Naturhotel
alpine-permakultur.ch
Almen als vom Mensch geschaffener Kulturraum (verschiedene Positionen)
bluehendesoesterreich.at: Permakultur
vgt.at: Tierschutz und Alm
globalstudies: Natur- oder Kulturlandschaft?
naturschutzbund.at: Zukunftsfähige Almwirtschaft
klimafitterwald.at: Wie viel CO2 speichert Österreichs Wald?
Protein aus Gras & Bioraffination
Wiener Zeitung: Der Fleischersatz der Zukunft wächst auf der Wiese
EU-Life-Projekt: farm4more
nachhaltigwirtschaften.at: Bericht zu grüner Bioraffinerie
Ländlicher Raum: Grünlandbewirtschaftung in Österreich
Süddeutsche Zeitung: Gras für alle
agrarheute.com: Interview mit Christoph Geil
nachhaltigwirtschaften.at: Proteine aus Grassäften
vegconomist.de: Interview mit Institut für Lebensmitteltechnik
Michael Mandl